Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
Prolog
Gegenwart, an Bord der Silver Mist
Das war keine Kreuzfahrt, sondern ein Höllentrip.
Jenner Redwine saß wie gelähmt auf dem Barhocker, versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was Bridget ihr eingeschärft hatte, und bemühte sich, es mit dem Albtraum in Einklang zu bringen, der sich gerade abspielte. Bridget hatte ihr erklärt, dass irgendwann im Lauf des Abends ein Mann und eine Frau in Streit geraten würden. Die Frau, Tiffany, würde verschwinden, und dann würde der Mann, Cael, Jenner ansprechen. Sie hatte die Anweisung bekommen, sich interessiert und aufgeschlossen zu zeigen. Sie sollte alles tun, was er verlangte, sonst würde Syd, ihre einzige wahre Freundin auf dieser Welt, umgebracht werden.
Die Szene entwickelte sich ganz und gar nicht wie erwartet. Tiffany machte keine Anstalten, die Bar zu verlassen. Sie zeterte, stampfte mit dem Fuß auf und steigerte sich, scheinbar alkoholisiert, in einen Wutanfall, obgleich sie keineswegs betrunken war. Sie beschuldigte Cael, mit Jenner geschlafen zu haben, obwohl sie erst vor wenigen Stunden an Bord gegangen waren und - wahrscheinlich - noch niemand mit irgendwem geschlafen hatte. Weil Cael Jenner angesprochen hatte, bevor er mit Tiffany zu streiten begann, hatte sie natürlich nicht geahnt, wer er war. Er hatte neben ihr im Gedränge an der Bar gestanden,
um eine Bestellung aufzugeben, und nichts zu ihr gesagt, was irgendwie zweideutig geklungen hätte. Nein, abgesehen von diesem vor allen Leuten ausgetragenen Streit entwickelte sich der Abend ganz und gar nicht so, wie Bridget es angekündigt hatte.
Cael würde noch an den Details feilen, hatte Bridget gesagt. Das hatte er getan, so viel stand fest. Wahrscheinlich war es ganz gut, dass Jenner keine Ahnung hatte, was als Nächstes passieren würde. Sie war keine Schauspielerin und konnte nicht aus dem Stand eine filmreife Szene improvisieren. Die anderen konnten das offenbar sehr wohl.
Der Mann, der Cael vorhin angeschubst hatte, mischte sich jetzt genauso laut und genauso heftig lallend ein und fuhr Tiffany an, sie würde Unsinn reden und solle in ihre Kabine verschwinden, um sich auszuschlafen. Er war offenbar entschlossen, die Schuld für den lautstarken Streit auf sich zu nehmen, was, auch wenn er betrunken war, eine nette Geste war. Vielleicht gehört er ja auch zu ihnen , dachte Jenner. Da sie ihn nicht kannte, hätte er weiß Gott wer sein können.
Wirklich unverdächtig waren nur die Menschen, die ihr schon länger bekannt waren, begriff sie. Sie hatte zwar keine Ahnung, wem sie hier nicht trauen konnte, aber sie wusste definitiv, wem doch , auch wenn ihr das herzlich wenig nutzte. Was auch gespielt wurde, sie musste auf Gedeih und Verderb mitspielen, wenn sie Syd nicht im Stich lassen wollte, denn ihre Freundin schwebte in Lebensgefahr. Am liebsten hätte Jenner sich betrunken; im Zustand der Trunkenheit hätte sie nicht so viel Angst ausgestanden.
Wenn sie nur eine Idee gehabt hätte, wie sie diese Menschen wieder aus ihrem Leben vertreiben konnte - aus ihrem und Syds. Stattdessen stand sie Todesängste aus,
dass die ganze Sache für sie und Syd übel ausgehen würde, ganz gleich, was sie unternahm. Wenn sie wenigstens gewusst hätte , was man von ihr erwartete, hätte sie sich vielleicht nicht so sehr davor gefürchtet und wäre sich nicht ganz so hilflos vorgekommen. Das Gefühl von Hilflosigkeit konnte sie einfach nicht leiden, am allerwenigsten bei sich selbst.
Vielleicht war es an der Zeit, wieder die Initiative zu ergreifen, so wie vorhin, als sie auf den Balkon getreten war, während Faith Wache gestanden hatte. Sie glitt von ihrem Hocker und versuchte sich an Cael vorbeizuschieben, als wollte sie sich unbemerkt aus dem Staub machen, aber Tiffany kreischte sofort auf: »Versuch nicht, dich zu verdrücken, als wärst du völlig unschuldig! Ich habe genau gesehen, wie du ihn angeflirtet hast …«
»Ich kenne Sie überhaupt nicht«, fiel ihr Jenner ins Wort, während Cael sich umdrehte und ihr unauffällig den Fluchtweg abschnitt, indem er einen Schritt zur Seite trat. »Und ihn kenne ich auch nicht, also lassen Sie mich gefälligst in Frieden.« Sie fing den Blick einer Frau namens Leanne Ivey auf, die sie aus Palm Beach kannte, und zuckte ratlos mit den Achseln, als hätte sie keine Ahnung, was das alles sollte. Leanne reagierte mit einem mitfühlenden Lächeln.
Plötzlich erschien Faith in der Menge, stellte sich zu Tiffany, legte den Arm um die Schultern der schwarzhaarigen
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