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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Zimmer in seiner eigenen Wohnung.
    Johann Isidor Sternberg betrachtete das Porträt von Betsys seligem Onkel; vom ersten Tag seiner Ehe hatte es an der Wand des Esszimmers gehangen. Lange dachte der Hausherr nach, knapp sagte er: »So!« Seine Stirn rötete sich ein wenig. Zehn Minuten später gab er nach, wobei erstmals die Vermutung in ihm keimte, dass er eine mehrfach gesegnete Frau zur Gattin erwählt hatte. Gott hatte die Schöne nicht nur mit geschickten Händen, einer vorsichtigen Zunge und einem sonnigen Gemüt bedacht, sondern auch mit einem Kopf, der auf Männerschultern gehörte.
    Zum ersten Mal seit ihrem siebten Geburtstag, als sie eine lang ersehnte blond gelockte Puppe bekommen und prompt versucht hatte, für die noch ein Samtcape herauszuschlagen, begnügte sich diese Prachtfrau nicht mit einem Sieg. Drei Tage nach dem denkwürdigen Abendessen begann sie, von einem Anwesen in der Günthersburgallee zu reden. Die Straße zweigte von beiden Seiten der Rothschildallee ab. Das Haus, das es Betsy angetan hatte, war im neoklassizistischen Stil aus rotem Sandstein erbaut und glich einer Burg. Es hatte Erker, Fenster in verschiedenen Größen, Türmchen und Balkons mit kleinen griechischen Säulen. Diese architektonische Schönheit, vor einem Jahr erbaut, war nur deshalb zu haben, weil der präsumtive Käufer in Bad Homburg einen schweren Reitunfall gehabt hatte und seitdem nicht mehr handlungsfähig war.
    Betsy hatte das Haus auf einem Spaziergang mit Otto entdeckt. »Ein solches Haus putzt den Besitzer heraus«, reimte sie, als sie bei Sonntagskaffee und Zwetschgenkuchen davon erzählte. »Was würden uns die Leute beneiden.« Noch ehe sie theatralisch seufzte, brannten ihre Wangen; sie senkte beschämt den Kopf. Ihr Mann sah sie befremdet an.
    »Hochmut kommt vor dem Fall«, rügte er, »das beste Geschäft ist das, von dem man nicht spricht.« Obwohl er verärgert war, zeigte sich der Ehemann großzügig und führte Betsys momentane Unbescheidenheit auf ihren Zustand zurück. Aufgeschlossene Männer akzeptierten, dass Frauen in Hoffnung dazu neigten, ihre Grenzen zu überschreiten. »Ich werde mal sehen«, lächelte der Kluge, »ob es nicht doch noch etwas mit deinem Wunsch wird, das Esszimmer und den Salon mit Parkett zu versehen.«
    »Wie schön«, sagte Betsy. Ihr zweiter Seufzer war einer der Erleichterung.
    Übrigens hatte sich Johann Isidor Sternberg das zum Verkauf stehende Haus in der Günthersburgallee tatsächlich angesehen. Es entsprach weder seinem Geschmack noch Naturell. »Das ist etwas für Leute, die nicht gelernt haben, den Schein vom Sein zu trennen«, hatte er dem anbietenden Makler erklärt. Ein wenig schroff und sehr bestimmt.
    Von seinem seligen Vater, einem Viehhändler aus Schotten in Oberhessen, hatte Johann Isidor rechtzeitig gelernt, dass ein Mann nie als wohlhabend auffallen sollte. »Ein bescheidener Rahmen«, hatte der Vater seinem Sohn eingetrichtert, »ist wichtiger als ein neuer Überzieher.«
    So hatte der Weitsichtige sich für den Bau des Hauses in der Rothschildallee entschieden.
    Der Sohn, der die Lektionen des Vaters nie vergaß, regte auch an, die erste Mahlzeit im neuen Heim bescheiden zu halten. »Der Kaiser hat Geburtstag«, mahnte er, als Betsy dabei war, das Menü für den Samstagabend zu planen, »nicht ich.«
    »Wir haben doch extra Tante Luise eingeladen, mit uns zu feiern.«
    »Gerade die hat nichts übrig für Leute, die ihr Geld nicht zusammenhalten können. Wäre es anders, wären wir noch einige Jahre im Sandweg wohnen geblieben. Das kannst du mir glauben.«
    Gegen Stolz und Hausfrauenehre kämpfen selbst Despoten vergebens. Es gab Hechtklöße als Vorspeise, Florentiner Kraftbrühe nach dem Rezept von Madame Suzette im Pensionat in Montreux, Kalbfleisch in Madeira, Hähnchen in Burgunder und Pommes de terre dauphine, zum Nachtisch den Mandelkranz, dem Tante Luise nie widerstehen konnte. Frau Betsy war in bestem Einvernehmen mit der reich gedeckten Tafel, blendender Laune und hoffnungsfroh wie eine junge Braut.
    Die Witwe Luise Dreifuß hob ihr Glas. Der Rotwein funkelte im Licht des neuen Lüsters. Verzückt sah die alte Dame ihren Lieblingsneffen an. Eine Nacht im Mai, von der außer ihr niemand mehr wusste, fiel ihr ein. »Zum Wohl«, sagte sie. »Durch Weisheit wird ein Haus gebaut und durch Verstand erhalten. Mich macht der Gedanke überglücklich, dass deine Enkel noch um diesen Tisch sitzen und sich am Mandelkranz ihrer Großmutter erfreuen

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