01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Absurdität der Vorstellung, daß sie an einer Erkältung erkranken könnte; als ließe sich irgendein äußerer Umstand mit den Verwüstungen vergleichen, die sich von innen in ihrem Körper ausbreiteten. Doch sie gestattete ihm, sie ins Haus zu führen und die Tassen abzuspülen.
Als er gegangen war, sperrte sie die Tür zum Garten ab und schloß die Fenster, zögerte jedoch einige Minuten, ehe sie die Jalousien herunterließ. Das Licht über den Dächern begann zu schwinden, und die Blätter der Birke im Garten fröstelten im Abendwind. Von Duncans Terrasse aus hätte sie sehen können, wie die Sonne hinter West-London unterging. Er zahlte einen hohen Preis für dieses Privileg und war so nett gewesen, sie einige Male daran teilhaben zu lassen, ehe ihr das Treppensteigen zuviel geworden war.
Duncan - hm, das war auch so etwas, das sie Meg nicht erklären konnte, zumindest nicht, ohne sie zu verletzen. Sie hatte nicht gewollt, daß Meg ihn kennenlernte; sie hatte ihn von ihrem übrigen Leben, von ihrer Krankheit getrennt halten wollen. Meg kümmerte sich mit solchem Eifer um sie, verfolgte die Entwicklung eines jeden Symptoms, überwachte ihre Pflege und die Verabreichung der Medikamente mit solcher Gewissenhaftigkeit, als sei Jasmines Krankheit ihre ganz persönliche Verantwortung. Duncan brachte ihr die Außenwelt, scharf und beißend, und wenn er auch mit dem Tod zu tun hatte, so war dieser Tod doch weit entfernt von ihrem eigenen.
Seufzend zog sie die Jalousie herunter. Sidhi strich ihr schnurrend um die Beine. Diese Unterscheidung zwischen Duncan und Meg war blanker Unsinn; Meg hatte sich gewissermaßen in ihre Krankheit hineingestürzt, und eben diese Krankheit machte sie - Jasmine - zu einer ungefährlichen Freundin Duncans. Eine Beziehung ältere Frau - jüngerer Mann war ausgeschlossen. Als Sterbende war man akzeptabel und so gar nicht bedrohlich.
Sie fand ihn widersprüchlich in seinem Wesen, zurückhaltend und entgegenkommend zugleich, und sie wußte niemals so recht, was sie gerade zu erwarten hatte. »Wie wär’s mit einem Eis heute abend?« konnte er in einer seiner lockeren Stimmungen fragen, und dann joggte er den Rosslyh Hill zum Häagen-Dazs hinauf und kehrte keuchend und strahlend wie ein Sechsjähriger mit dem Eis zurück. An solchen Abenden pflegte er sie mit Spielen und Gesprächen aufzumuntern und eine Energie in ihr freizusetzen, die sie längst nicht mehr zu besitzen geglaubt hatte.
An anderen Abenden schien er sich in sich selbst zurückzuziehen und begnügte sich damit, im blaugrau zuckenden Lichtschein des Fernsehapparats ruhig neben ihr zu sitzen. Sie wagte dann keinen Versuch, die Barriere zu durchbrechen. Und sie wagte auch nicht, sich von seiner Gesellschaft allzu abhängig zu machen, jedenfalls sagte sie sich das immer wieder. Es überraschte sie, daß er soviel Zeit mit ihr verbrachte, doch ehe ihr Verstand sich auf den Weg begeben konnte, seine Motive zu analysieren, nahm sie ihn, aus Furcht, auf Mitleid zu stoßen, fest an die Leine.
Sie richtete sich so energisch auf, wie es ihr noch möglich war, und öffnete den Kühlschrank. Margaret hatte ihr ein Gemüsecurry dagelassen - Megs Vorstellung von gesunder Ernährung. Jasmine schaffte es, ein paar Bissen zu essen, obwohl ihr das Schlucken schwerfiel. Geruch und Geschmack des Currygerichts erinnerten sie so lebhaft an ihre Kindheit wie die Wachträume dieses Nachmittags. Zufall, sagte sie sich, merkwürdig, aber bedeutungslos.
Sie döste vor dem Fernsehapparat, mit einem Ohr in ständiger Erwartung von Duncans Klopfen. Sidhi kniff die Augen zusammen wegen des grellen Lichts, und machte es sich auf ihrem Schoß bequem. Was würde aus Sidhi werden? Sie hatte keine Vorsorge für ihn getroffen; sie war nicht imstande gewesen, über ihn zu verfügen wie über ein Möbelstück. Ihr Bruder Theo mochte keine Katzen. Der Major beschwerte sich, wenn Sidhi in seinen Blumenbeeten scharrte. Duncan behandelte den Kater mit höflicher Gleichgültigkeit, Felicity fand ihn unhygienisch, und Meg wohnte in einem möblierten Zimmer in Kilburn bei einer Wirtin, die sie als äußerst grimmig zu schildern pflegte. Also insgesamt keine guten Aussichten. Vielleicht würde Sidhi mit seinem nächsten Leben ohne ihr Eingreifen zurechtkommen. In diesem Leben jedenfalls hatte er großes Glück gehabt - sie hatte ihn, ein struppiges, sechs Wochen altes Kätzchen, aus einer Mülltonne gerettet.
Während langsam die Nacht
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