01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Cream Sherry ein. Ihr flaumiges graues Haar umgab ihr Gesicht wie ein vom Wind zerzauster Heiligenschein. Penny neigte sich zu Hannah und hob mit verschwörerischem Flüstern ihr Glas: »So etwas gönne ich mir nur ganz selten. Und was«, fuhr sie in vertraulichem Ton fort, »halten Sie von unserem letzten Neuzugang, Miss Alcock? Wir haben ihn heute nachmittag beim Einkaufen getroffen, ein reizender junger Mann, so höflich. Cassie hat erzählt, er sei Beamter, irgendein schrecklich langweiliger Posten. Das würde man nie vermuten, wenn man ihn so sieht, nicht?«
Hannah sah ihrem Blick folgend zur anderen Seite des Raums hinüber, wo ein hochgewachsener Mann an der Wand lehnte, sichtlich in die Enge getrieben von einer üppigen Frau in einem unmöglichen Kleid. Er sah nicht wie ein Beamter aus. Sympathisch, Mitte Dreißig, vielleicht auch etwas älter, mit widerspenstigem toffeebraunen Haar und einer nicht unbedingt aristokratischen Nase. Er hörte Maureen mit einer Miene amüsierten Interesses zu, doch Hannah meinte etwas Wachsames an ihm wahrzunehmen, eine innere Distanz, die ihn von den anderen unterschied.
»Kincaid«, sagte Penny. »Er heißt Duncan Kincaid.« Hannah sah weg und fand es albern, daß sie sich solchen extravaganten Spekulationen hingab, wenn sie viel dringendere Sorgen hatte. In diesem Moment drehte Kincaid, als hätte er ihren Blick gespürt, plötzlich den Kopf und sah sie lächelnd an. Ein sympathisches Lächeln, verschmitzt und gütig zugleich, und absolut entwaffnend.
Cassie erschien lautlos wie immer an Hannahs Seite, angekündigt durch den scharfen Duft ihres Parfüms. Er erinnerte Hannah an brennendes Laub.
»Sie und Miss MacKenzie haben sich heute morgen schon kennengelernt, glaube ich? Darf ich Sie mit einigen der anderen Gäste bekanntmachen?«
Cassie kam ihren Pflichten als professionelle Gastgeberin mit der Sorgfalt nach, die Hannah von ihr erwartet hatte. Das Zusammentreffen, das sie sich so brennend wünschte, würde so leicht und mühelos wie eine Zufallsbegegnung vonstatten gehen. Sie durfte sich nur nicht durch einen Versprecher oder eine unkontrollierte Geste verraten. Ihr Magen war so fest zusammengekrampft, daß sie kaum atmen konnte. Sie zwang sich, lockerzulassen und tief durchzuatmen, zwang sich mit einem zittrigen Lächeln zu sagen: »Ja, gern, das wäre nett.«
3
In der stillen Luft hingen Gerüche von Holzrauch und Küche. Kincaid schnupperte voll Wohlgefallen, als er den kurzen Weg vom Parkplatz zum Carpenter’s Arms ging, und sein Magen knurrte wie zur Antwort. Nach Maureen Hunsingers Vortrag über die wohltuenden Eigenschaften von Algen und Tofu waren ketzerische Visionen von dampfendem Braten, knusprigen Bratkartoffeln und Apfelstreuselkuchen mit Sahne vor seinem inneren Auge aufgestiegen. Cassie hatte ihm das Restaurant empfohlen. Es sei das bevorzugte Lokal der gutbetuchten Einheimischen, hatte sie gesagt, und als Kincaid jetzt die Tür aufstieß, war ihm auch klar, warum. Man hatte das alte Pub aufgedonnert, gewiß, aber das Holzfeuer in dem riesigen Steinkamin am Ende der Bar lockte unwiderstehlich. Er holte sich am Tresen ein Bier und ging dann hinüber, um sich am Feuer den Rücken zu wärmen. Mit dem Essen hatte er es jetzt gar nicht mehr so eilig.
Der Sonntag war ein Tag, an dem nicht viel los war, und in der Bar war es ruhig. Kincaid trank gemächlich sein Bier und sah sich um. Ein paar Stammgäste unterhielten sich mit dem Barkeeper über die Rennen des nächsten Tages in Catterick.
Ganz hinten saß eine Frau an einem kleinen Tisch und studierte mit einer Lesebrille auf der Nase die Speisekarte. Er erkannte Hannah Alcock, auch wenn er auf der Party keine Gelegenheit gehabt hatte, ihre Bekanntschaft zu machen. Cassie hatte ihn mit den meisten anderen Leuten bekannt gemacht, aber Hannah war früh gegangen. Sie war jetzt ganz in die Speisekarte vertieft, und da er dies für eine gute Gelegenheit hielt, das Versäumte nachzuholen, ging er durch die Bar auf sie zu.
Sie sah überrascht aus, als er vor ihrem Tisch stehenblieb und sich vorstellte. Er glaubte, in ihrem Gesicht einen Schatten von Enttäuschung zu bemerken, ehe sie ihn anlächelte, aber der Eindruck war so flüchtig, daß er sich sagte, er habe es sich eingebildet. Sie nahm die Brille ab und steckte sie hastig ein. »Eitelkeit«, sagte sie entschuldigend. »Die Brille hat mir das Alter aufgezwungen, und ich bin noch nicht an sie gewöhnt. Bitte,
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