0,1 % - Das Imperium der Milliardäre
Funktionseliten) denkt, die seit den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im transnationalen Raum agieren und eine teils demokratische, teils technokratische und teils ›planetarische‹ Perspektive entwickeln. ›Die cadres sind eine Klasse von Mediatoren, die Leitungsaufgaben für die herrschende Klasse ausführen, aber gleichzeitig, wie Arbeiter, als ein lohnabhängiges Stratum ihre Arbeitskraft verkaufen.‹ (Kees Van Der Pijl) Man kann in diesem Zusammenhang zum Beispiel CEOs transnationaler Konzerne, am Globalisierungsprozess beteiligte Bürokraten, ›globalisierende‹ Politiker und Experten sowie Eliten im Konsumbereich (Handel und Medien) unterscheiden. (Sklair) Einen wichtigen Schritt in Richtung des Begriffs einer sozialen globalen herrschenden Klasse geht eine Forschergruppeum J. V. Beaverstock. Sie setzt nicht bei der Kapitalistenklasse im engeren Sinne, sondern bei den ›Geldmächtigen‹ an und nähert sich damit einem Machtzentrum, das weitaus fluider und ›sozialer‹, aber auch dynamischer ist als rein ökonomische Verwertungsmacht. Es geht um die globale Rolle jener kleinen Gruppe von wenigen tausend ›ultra-high-net-worth individuals‹ (UHNWIs), die zusammen über mehr Geldmittel verfügen als die unteren vier Fünftel der Weltbevölkerung. Beaverstock u. a. argumentieren, dass die globale Klassenscheide nicht zwischen verwertungs- und wissensmächtigen Dienstklassen auf der einen Seite und den diese wiederum bedienenden, unwissenden Arbeitsklassen auf der anderen Seite bestehe, sondern im Gegensatz zwischen einer superreichen Geldelite und dem Rest der Welt. Die Superreichen verkörpern in partikularer, ›privatisierter‹ Form den Globalzusammenhang, indem sie mit Hilfe von Mikronetzwerken oder ›Beziehungsmodulen‹ den ›global space of flows‹ (Manuel Castells) beherrschen. Überhaupt sind ›globale Klassen‹ und erst recht eine globale herrschende Klasse nur zu begreifen, wenn die Verfügungsgewalt über den globalen Raum als neue Dimension der Klassenstrukturierung mitberücksichtigt wird. (Anil Jain) So spielen neben der ›Zonierung‹ des Raums nach privaten Interessen vor allem ›global cities‹ (Saskia Sassen) eine wichtige Rolle bei der Formierung fungibler globaler Herrschaft (und fungiblen Superreichtums). In bestimmter Weise konsumiert in diesem Kontext die Gruppe der Superreichen den Planeten als Ganzen – in der Tradition der ›conspicuous consumption‹ (Thorstein Veblen, 1899) –, auch wenn diese Phänomene bislang nur trivialisierend oder mystifizierend unter Begriffen wie ›Jet Set‹ oder ›Bourgeois Bohemians‹ (David Brooks) beschrieben wurden. Hier tritt – mit der Entfaltung des Cyberspace und seiner Finanznetze – eine bislang nicht denkbare Privatisierung des Universellen ein, die alles, was der Feudalismus zuwege brachte, in den Schatten stellt.« 19
So schrieb ich um 2003. Und am Rand dieser Passage steht in meinem Belegexemplar die Notiz: »Das letzte Geheimnis des Ultrareichtums ist seine Privatheit.«
Die Diskussion um diese Fragen ist in den letzten Jahren breiter, differenzierter und unübersichtlicher geworden. Hier sei nur aufzwei Autoren verwiesen, die es in die Bestsellerlisten geschafft haben. Ihre Namen werden auch in den nächsten Kapiteln gelegentlich auftauchen.
Parag Khanna 20 ist einer jener jungen Intellektuellen, die im Milieu internationaler Organisationen, Think-Tanks und Stiftungen als »Berater« auf sich aufmerksam gemacht haben. Seine zentrale These ist, dass in der sich entfaltenden neuen Weltordnung traditionelle, staatengebundene Formen der Diplomatie immer unwichtiger werden und durch eine Vielzahl neuer Akteure ergänzt, wenn nicht ersetzt werden: Nichtregierungsorganisationen; Clubs und Netzwerke; Einzelpersonen aus Religion, Medien, Kultur, Wissenschaft und eben auch (und vor allem?) aus der Schicht der globalen Geldelite. Für ihn sieht es fast so aus, als könne in dieser neuen Welt der Diplomatie oder gar Demokratie praktisch jeder zum »global player« werden, und sei es für fünfzehn Sekunden.
So antwortet Khanna in einem Interview: »Ja. Soros und Gates sind es geworden, weil sie viel, sehr viel Geld haben. Aber Amnesty International, Human Rights Watch begannen als kleine Organisationen einzelner, engagierter Menschen. Und das noch vor dem Internetzeitalter. Mit den heutigen Möglichkeiten werden die Karten neu gemischt. Wir befinden uns in einem multipolaren Zeitalter. Und was ein Pol ist und
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