0,1 % - Das Imperium der Milliardäre
mehr ins öffentliche Bewusstsein tretende enorme Ungleichheit in den USA, wo ein Prozent der Bevölkerung über fast die Hälfte des gesamten Reichtums verfügt.
Dieser Sachverhalt ist der explizite Ausgangspunkt für den Produzenten und Regisseur Jamie Johnson, der aus einer der reichsten Familien Amerikas, den Eigentümern des Kosmetikkonzerns Johnson&Johnson, stammt. In Born Rich geht Johnson zunächst einer Frage nach, die in vielen Rechtfertigungsversuchen der Reichtumsschere eine Rolle spielt: Macht viel Geld glücklicher? Die Antwort nach vielen Interviews und Milieuskizzen bleibt ironisch in der Schwebe, aber Johnson arbeitet auch Denkweisen der Selbsterhaltung heraus, denen wir im Folgenden immer wieder begegnen werden.
One Percent geht einen Schritt weiter: In Interviews mit Kritikern wie dem ehemaligen Arbeitsminister der Clinton-Regierung, Robert Reich, dem Waffenmilliardär Adnan Kashoggi, dem Propheten desNeoliberalismus, Milton Friedman, Bill Gates und dessen Vater sowie Steve Forbes, dem Herausgeber des gleichnamigen Magazins, testet Johnson seine These, dass so viel Reichtum in so wenigen Händen eine Gefahr für den American Way of Life darstelle. Die Interviews sind zum Teil sehr amüsant. Sie sind garniert mit Einblicken in das Leben der »einen« und der »anderen«. Der eigentliche Erkenntnisgewinn von One Percent besteht aber in der Beschreibung der Methoden, mit denen die Superreichen alles unternehmen, um ihre monetäre Dominanz zu sichern. So bekommt Johnson auch Zugang zu einer exklusiven »Reichtumskonferenz«, wo den Superreichen Strategien zur Vermögenssicherung beigebracht werden. Und man erfährt Interessantes über die unterschiedlichen Managementstile der Reichen gegenüber ihren unmittelbaren Helfern und Beratern.
Der amerikanische Maler Mark Lombardi (1951–2000) nahm politische und Finanzskandale zum Anlass, großformatige Diagramme der beteiligten Personen und Personengruppen anzufertigen, die einerseits auf dem Kunstmarkt reüssierten, andererseits aber schmutzige Deals und kriminelle Aktivitäten der oberen Zehntausend festhielten. Lombardi hatte sich eine private Datenbank mit über 12 000 Karteikarten angelegt. Seine Kunst überschritt ständig die Grenze zum investigativen Journalismus und zum Verschwörungsdenken, so dass sich vor seinem mysteriösen Tod – er wurde erhängt in seinem Atelier aufgefunden – auch das FBI für seine Diagramme zu interessieren begann.
Für mich ist Lombardi ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Power Structure Research auch Graswurzelforschung sein kann. 47 Auf der Documenta 13 gehörte Lombardi zu den wichtigsten präsentierten Künstlern. Gleichzeitig erschien posthum ein Buch mit seinen Texten, 116 Notes, 100 Thoughts . 48 Seine visuellen Netzwerke und Diagramme, heißt es dort, hätten verborgene Verbindungen zwischen politischen und ökonomischen Prozessen, Konzernen und Personen sichtbar gemacht. Dabei ging es nicht nur um seine delikaten Netzwerkzeichnungen, sondern vor allem um die Art und Weise, wie er sich das Material für seine Recherchen und sein Denken beschaffte. Als ausgebildeter Bibliothekar, bekannt für seine Akribie, sortierte, archivierte und bearbeitete er mit Hilfe eines Index-Kartensystems Material aus öffentlich zugänglichen Medienquellen. Carolyn Christov-Bakargiev, die künstlerische Leiterin der Documenta 13, schreibt in ihrer Einleitung zum Buch, hier werde ein herausragendes künstlerisches Œuvre zugleich von den Fakten über Finanzskandale, Terroranschläge und Wirtschaftskriminalität – und von den Namen dazu – bestimmt.
Mark Lombardi 49
Im Folgenden werden uns noch Netzwerkanalysen unterschiedlichster Art begegnen, teils mehr der mathematischen Exaktheit, teils mehr der Einbildungskraft zuneigend. Immer aber werden sie so etwas wie eine »kognitive Kartierung« (Fredric Jameson) sein, hinter der das Gebot steht: Du sollst dir ein Bild machen von denen, die beanspruchen, deine Götter zu sein.
2 Die Aneignung Europas 1
»Ist die europäische Integration zu einem Projekt der intellektuellen Elite verkommen, dem der Großteil der EU-Bürger sowie auch die Politik bestenfalls mit Gleichgültigkeit und Desinteresse begegnen?« Auf diese Interviewfrage des rechtsliberalen Online-Magazins The European wusste ich vor einiger Zeit nicht recht zu antworten. Die intellektuelle Elite ist schließlich, wenn wir schon eine brauchen, unter all diesen Geld-, Konzern- und Politikeliten die
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