0,1 % - Das Imperium der Milliardäre
Produktion vor sich gegangen wäre, hätten Marx die Ressourcen des Internets, von Google, Wikipedia und so weiter zur Verfügung gestanden. Die Marxsche Denkweise mit ihrem Spiel der Kategorien erlaubt es, sich etwa bezüglich der Problemkomplexe »Ware und Geld«, »Kapital«, »Arbeit«, »Produktionsmittel« heute ganz andere Formen der Darstellung vorzustellen. 43
Spielereien?
Im Schaufenster meiner progressiven Buchhandlung waren im Juli 2012 unter anderem folgende Buchtitel zu sehen: Vergesst die Krise ; Wie gerecht ist die Macht? ; Die große Entwertung ; Business as usual ; Du sollst. Kapitalismus als Religion ; Aftermath. The culture of Economic Crisis ; Das Ende des freien Marktes ; Die Wachstumslüge ; Sozialismus des Kapitals ; Stresstest Deutschland ; Kapitalismus als Spektakel ; Macht im 21. Jahrhundert ; Das Kapitalismus-Komplott ; ABC der Alternativen ; Occupy ; Die Piraten-Partei ; Das soziale Tier ; Gelduntergang ; Vor dem dritten Staatsbankrott ; Weltwirtschaftskrise ; Befreiung vom Überfluss ; Abgebrannt ; George Soros ; Crisis and Control ; Die Herrschaft der Finanzmärkte ; The New Industrial Revolution ; Kapitalismus und dann? ; Währungskrieg ; Die Pleiterepublik ; Die Unfehlbaren ; Aufstieg des Geldes ; Wer regiert die Welt? ; What Money Can’t Buy ; Gemeinsam sind wir reich ; Pleitiers und Bankrotteure ; Zerschlagt die Banken …
Aber das ist nicht alles. Der große Geschichtsprozess wird heute auch durch digitale Strategiespiele angetrieben, in denen die großen Konzerne die Zukunft des Kapitals vorauszudenken versuchen. Auch die diesen Konzernen aufsitzenden Gruppen, Klassen und Eliten, die in letzter Instanz von all dem profitieren, spielen an den Börsen mit »Futures« und zu Hause »Command & Conquer«. Hinzu kommt aber, dass die Verknüpfungen der virtuellen Netze zur Spielwiese von Milliarden Menschen geworden sind. Die historischen, planetarischen Dimensionen, einst Domäne der Herrschenden, werden vor dem Computerbildschirm zu jedermanns Sache. Die Blickrichtungen vervielfältigen sich, kopieren einander. Neue Methoden des Sehens ermöglichen es immer mehr Menschen, sich eigene Vorstellungen von der Welt zu machen. Die eigene Bude wird zum »situation room«.
Konzerne wie Microsoft, Google oder Apple, selbst erst vor kurzem aus Garagen aufgestiegen, starten an den Rändern ihres Hauptgeschäfts interessante Initiativen. Es wird mit Modellen historischer Entwicklung gespielt, Forschungsprojekte versuchen den Gang der Natur- und Gesellschaftsgeschichte auf neue Weise zu erklären. Bei aller Kommerzialität sind Medien wie YouTube voller interessanter Animationen. Herrschaftsstrukturen werden aufgeschlüsselt in Power Maps, aus dem Power Structure Research sind Websites wie »They Rule« hervorgegangen. 44 In der Medienwelt, die sich letztlich ihrer Randzonen nicht entledigen kann, ohne selbst unglaubwürdig zu werden, tauchen immer wieder interessante Aufklärungsprojekte auf, von den »Yes Men« bis zu den »Adbusters« (ohne die die Occupy-Bewegung nicht denkbar wäre). 45 Und die Occupy-Bewegung selbst (wie soziale Bewegungen überhaupt) muss zu eigenen postmodernen Formen politischer Kunst und Kultur finden.
Außerdem hat es noch niemals so viele – oft von unabhängigen Produzenten stammende – gute Filmdokumentationen gegeben über die Zusammenhänge, die uns in diesem Buch interessieren. Ältere Versuche wie Arno Peters’ Synchronoptische Weltgeschichte werden ausgegraben und seine Zettelkästen digitalisiert – ebenso wie die des Systemtheoretikers Niklas Luhmann oder eben auch die Notizenberge von Marx und Engels.
Es sei hier nur kurz auf zwei Beispiele aus dieser Welt der »Spielereien« eingegangen, welche sich unmittelbar mit dem 0,1 Prozent auf jeweils besondere Weise beschäftigen: zum einen die Dokumentarfilmproduktionen Born Rich und One Percent aus den Reihen des Milliardärsnachwuchses selbst; zum anderen die Versuche des Künstlers Mark Lombardi, Netzwerke der Macht und Korruption in raffinierten Bildern darzustellen.
Die Dokumentarfilme Born Rich und One Percent 46 sind Selbstreflexionen einer Schicht, die sich zunehmend selbst um ihr Bild in den Medien kümmert und dabei, wie könnte es anders sein, auch die Frage nach geschichtlicher Veränderung an sich heranlässt und anderen stellt. Das ist vergleichbar mit den Selbstreflexionsschüben der französischen Aristokratie im achtzehnten Jahrhundert. Die beiden Filme thematisieren die seit 2008 immer
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