01 - Gnadenlos
Verkäuferin und beschloß, am Abend noch mal mit John vorbeizukommen. Es machte ihm immer soviel Spaß, Sachen für sie auszusuchen. Aber jetzt mußte sie ihn erst mal abholen. Der Plymouth-Kombi, mit dem sie von Maryland hierhergekommen war, stand direkt vor dem Laden, und sie kannte sich in den Straßen dieser Küstenstadt inzwischen einigermaßen aus. Die Fahrt zur Küste des Golf von Mexiko, wo sich der Sommer nie länger als für ein paar Tage verabschiedete, hatte ihr eine willkommene Abwechslung zu den eintönigen Herbstschauern in ihrer Heimatgegend geboten. Sie lenkte den Wagen auf die Straße und nahm den Weg nach Süden, in Richtung auf den riesigen Versorgungspark der Ölgesellschaft. Selbst die Verkehrsampeln waren ihr wohlgesonnen. Sie sprangen so rechtzeitig auf Grün, daß sie kein einziges Mal auf die Bremse zu treten brauchte.
Der Fahrer des Schwertransporters runzelte die Stirn, als die Ampel auf Gelb schaltete. Er war spät dran und fuhr ein bißchen zu schnell. Immerhin hatte er den größten Teil der neunhundert Kilometer von Oklahoma jetzt hinter sich gebracht. Seufzend trat er auf Kupplung und Bremse. Aus dem Seufzer wurde ein erstaunter Ausruf, als sich beide Pedale ohne Widerstand bis zum Anschlag heruntertreten ließen. Noch war die Kreuzung vor ihm leer, und so lenkte er geradeaus weiter, versuchte durch Herunterschalten die Geschwindigkeit zu drosseln und zog verzweifelt an der Schnur seines Diesel-Horns. Oh, mein Gott, bitte laß
Sie sah nicht, was auf sie zukam. Sie blickte nicht zur Seite. Der Kombi glitt auf die Kreuzung, und alles, was der Fahrer im Gedächtnis behielt, war das Profil einer jungen Frau, das unter dem Kühler seiner schweren Zugmaschine verschwand. Dann das schreckliche Schlingern und das zitternde Aufbäumen, als der Kombi unter den Vorderrädern des Lasters zermalmt wurde.
Das sie nichts fühlte, war am allerschlimmsten. Helen war ihre Freundin. Helen lag im Sterben, und Pam wußte, daß sie eigentlich etwas fühlen mußte. Aber sie empfand nichts. Helen war geknebelt, doch an den erstickten Geräuschen, die sie von sich gab, war zu erkennen, daß Billy und Rick das mit ihr machten, was sie gewöhnlich in solchen Fallen taten. Irgendwie bahnte sich der Atem seinen Weg, und obwohl sie den Mund nicht bewegen konnte, waren es die Laute einer Frau, die diese Welt bald verlassen würde. Doch bevor sie ihre Reise antreten konnte, mußte sie noch den Fahrpreis zahlen - dafür sorgten Rick und Billy und Burt und Henry in diesem Augenblick. Pam versuchte sich einzureden, daß sie woanders war, doch dieser rasselnde Atem zwang sie immer wieder hinzusehen, machte ihr bewußt, was jetzt ihre Realität war. Helen war schlecht. Helen war ausgerissen, und das konnten sie nicht zulassen. Das hatten sie ihnen allen mehr als einmal erklärt, und jetzt wurde es ihnen, wie Henry meinte, auf eine Art vor Augen geführt, die sie bestimmt nie vergessen würden. Noch immer konnte Pam die Stelle spüren, an der man ihr die Rippen gebrochen hatte, um ihr eine Lektion zu erteilen. Sie wußte, daß sie nichts tun konnte, als sich Helens Augen auf ihr Gesicht hefteten. Sie bemühte sich, Mitgefühl in ihrem Blick auszudrücken, mehr wagte sie nicht. Kurz darauf verstummte Helen. Zumindest für den Augenblick war es vorbei. Jetzt konnte Pam nur noch die Augen schließen und sich fragen, wann sie selber an der Reihe sein würde.
Die Mannschaft fand es äußerst lustig. Sie hatten den amerikanischen Piloten neben den Sandsäcken vor ihrer Unterkunft angebunden, so daß er die Geschütze sehen konnte, die ihn abgeschossen hatten. Was ihr Gefangener getan hatte, war weniger lustig, und sie zeigten ihm mit Fäusten und Stiefeln, was sie davon hielten. Den anderen Körper hatten sie auch gefunden und direkt neben ihn gesetzt, um sich daran zu weiden, mit wieviel Kummer und Verzweiflung der Feind seinen Kameraden musterte. Inzwischen war der Abwehroffizier aus Hanoi eingetroffen, der sich über den Mann beugte, um den Namen auf seiner Brust zu lesen, bevor er ihn auf einer mitgebrachten Liste heraussuchte. An seiner Reaktion merkten die Geschützsoldaten, daß ihr Gefangener etwas Besonderes sein mußte, denn der Abwehroffizier hängte sich hinterher gleich ans Telefon. Als der Gefangene vor Schmerzen ohnmächtig wurde, begoß der Mann aus Hanoi das Gesicht des Lebenden mit dem Blut des Toten. Dann schoß er ein paar Fotos. Die Geschützmannschaft wußte nicht, was sie davon halten sollte. Es sah
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