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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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beinahe so aus, als wollte er damit erreichen, daß der Lebende genauso tot aussah wie die Leiche neben ihm. Irgendwie seltsam.
    Es war nicht die erste Leiche, die er identifizieren mußte. Eigentlich hatte Kelly angenommen, daß dieser Aspekt seines Lebens hinter ihm lag. Andere Leute waren da, um ihm beizustehen, doch daß er nicht zusammenbrach, hieß noch lange nicht, daß er es durchstehen würde. In solch einem Augenblick gab es keinen Trost. Als er die Notaufnahme verließ, folgten ihm die Ärzte und Schwestern mit den Blikken. Man hatte einen Priester herbeigerufen, damit er seines Amtes walten und ein paar Worte an Kelly richten konnte, die aber ganz offenbar ungehört blieben. Ein Polizeibeamter erklärte, den Fahrer treffe keine Schuld. Bremsversagen, technischer Defekt. Eigentlich sei niemand schuld. Pures Schicksal. Was man halt so sagt, wenn man einem völlig unschuldig Betroffenen erklären muß, warum es das Wichtigste in seinem Leben plötzlich nicht mehr gibt. Als ob man damit etwas ausrichten könnte. Dieser Mr. Kelly war ein zäher Bursche, das sah der Polizist gleich, und von daher auch um so verletzlicher. Seine Frau und sein ungeborenes Kind, die er wahrscheinlich vor allen Gefahren hatte schützen wollen, waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Und niemand hatte schuld. Der Fahrer, selbst Familienvater, mußte ins Krankenhaus gebracht und mit Beruhigungsmitteln verarztet werden, nachdem er in der Hoffnung unter seinen Schlepper gekrochen war, sie vielleicht noch am Leben zu finden. Kelly war von Arbeitskollegen begleitet worden, und sie würden ihm wohl auch helfen, die Formalitäten zu erledigen. Mehr konnte man für einen Mann nicht tun, der jetzt sicher lieber in der Hölle gewesen wäre als hier. Denn die Hölle hatte er schon erlebt. Doch es gab mehr als eine Hölle, und er kannte sie längst noch nicht alle.

1 Enfant perdu
    Mai
    Kelly konnte nicht sagen, warum er angehalten hatte. Ohne bewußt darüber nachzudenken, lenkte er seinen Scout auf den Seitenstreifen. Sie hatte nicht den Daumen in den Wind gehalten. Sie hatte nur am Straßenrand gestanden und beobachtet, wie die Autos splitaufwirbelnd und Abgase verbreitend vorbeirauschten. Aber sie stand wie eine Anhalterin da, das eine Knie durchgedrückt, das andere leicht angewinkelt. Ihre Kleidung war abgenützt, und ein Rucksack baumelte ihr locker über der Schulter. Ihr hellbraunes, schulterlanges Haar bewegte sich im Luftzug der vorbeifahrenden Autos. Ihr Gesicht war ausdruckslos, aber das sah Kelly erst, als er den rechten Fuß aufs Bremspedal drückte und auf den losen Schotter des Seitenstreifens zusteuerte. Er fragte sich, ob er sich wieder in den Verkehr einreihen sollte, aber nun hatte er den ersten Schritt schon getan, wenn er auch nicht genau wußte, wohin. Das Mädchen folgte dem Wagen mit den Augen, und als er in den Rückspiegel blickte, zuckte sie gleichgültig die Achseln und kam auf ihn zu. Das Seitenfenster war bereits heruntergekurbelt, und dann stand sie neben ihm.
    »Wohin fahren Sie?« fragte sie.
    Das überraschte Kelly. Die erste Frage - Soll ich Sie mitnehmen? - hätte eigentlich von ihm kommen sollen. Als er sie ansah, zögerte er ganz kurz. Vielleicht einundzwanzig, sah aber älter aus. Ihr Gesicht war nicht dreckig, aber auch nicht sauber, vielleicht kam das vom Wind und Staub der Überlandstraße. Sie trug ein Männerhemd aus Baumwolle, das monatelang nicht gebügelt worden war, und hatte das Haar im Nacken zusammengebunden. Aber am meisten überraschten ihn ihre Augen. Ein bezauberndes Graugrün. Sie starrten an Kelly vorbei... wohin? Er kannte diesen Blick schon, doch nur von übermüdeten Männern. Er hatte selbst schon so ins Leere geblickt, erinnerte sich Kelly, und dabei nie gewußt, was seine Augen wahrnahmen. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er im Moment gar nicht viel anders guckte.
    »Zu meinem Boot zurück«, antwortete er schließlich, da er nicht wußte, was er sonst sagen sollte. Und blitzschnell veränderte sich ihr Ausdruck.
    »Sie haben ein Boot?« fragte sie. Ihre Augen fingen wie bei einem Kind zu strahlen an, ein Lächeln blitzte auf und breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus, als hätte er gerade eine wichtige Frage beantwortet. Kelly sah, daß sie eine niedliche Lücke zwischen den Schneidezähnen hatte.
    »Eine Zwölfmeterjacht - Diesel.« Er deutete auf die Ladefläche des Scout, die mit Kartons voller Lebensmittel vollgestellt war. »Wollen Sie mitkommen?« fragte

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