01 - Gnadenlos
verdutzt.
»Wohin soll's gehen, Mr. Kelly?«
»Nur Kelly«, verbesserte er sie, wahrte aber momentan noch die Distanz. Pam nickte nur und lächelte wieder.
»Okay, Kelly, wohin?«
»Ich besitze eine kleine Insel etwa dreißig... «
»Du besitzt eine Insel?« Sie machte große Augen.
»Richtig.« Eigentlich hatte er sie nur gepachtet, aber das war schon so lange her, daß es Kelly gar nicht mehr der Rede wert fand.
»Dann mal los!« sagte sie begeistert mit einem Blick zurück auf die Küste.
Er warf die Kielraumentlüftung an. Die Springer hatte Dieselmotoren, und er brauchte sich wegen einer Abgasentwicklung eigentlich keine Sorgen zu machen, doch wenn er sich in letzter Zeit auch hatte gehenlassen, so war Kelly immer noch ein Seemann, und sein Leben auf dem Wasser gehorchte einer strikten Routine, was die Beachtung aller Sicherheitsvorschriften umfaßte, die mit dem Blut der Männer geschrieben worden waren, die nicht die nötige Sorgfalt hatten walten lassen. Nach den vorgeschriebenen zwei Minuten drückte er den Anlasser des Backborders, dann den für den Steuerborder. Die beiden großen Dieselmotoren sprangen sofort an und erwachten zu tuckerndem Leben, während Kelly die Anzeigen überprüfte. Alles sah gut aus.
Er verließ die Brücke, um die Vertäuungen zu lösen, dann kam er zurück, um in langsamer Fahrt vom Steg abzulegen, während er Gezeitenstand und Wind prüfte - derzeit war beides niedrig - und nach anderen Booten Ausschau hielt. Kelly schob den Gashebel des Backborders eine Markierung vor, während er am Steuerrad drehte, und ließ die Springer sich damit noch schneller in der engen Fahrrinne drehen, bis sie direkt hafenauswärts gerichtet war. Er schob den Gashebel des Steuerborders weiter vor und brachte seine Jacht auf manierliche fünf Knoten, während er an den aufgereihten Motor- und Segeljachten vorbeisteuerte. Pam schaute sich auch nach den Booten um, hauptsächlich achtern, und ihr Blick heftete sich mehrere Sekunden lang auf den Parkplatz, bis sie sich wieder nach vorn umdrehte. Dabei entspannte sich ihr Körper allmählich.
»Kennst du dich denn ein bißchen mit Booten aus?« fragte Kelly.
»Kaum«, gestand sie, und zum erstenmal bemerkte er ihren etwas schleppenden Akzent.
»Wo bist du her?«
»Texas. Und du?«
»Eigentlich aus Indianapolis, aber das ist schon eine Weile her.«
»Was ist das?« Sie berührte mit der ausgestreckten Hand die Tätowierung an seinem Unterarm.
»Das ist von einem der Orte, an denen ich gewesen bin«, sagte er. »Kein sehr netter Ort übrigens.«
»Oh, drüben.« Sie verstand.
»Genau da.« Kelly nickte sachlich. Sie waren nun aus dem Hafenbecken heraus, und er schob die Gashebel noch weiter vor.
»Was hast du dort gemacht?«
»Nichts, was ich einer Dame erzählen sollte«, erwiderte Kelly, während er sich umblickte.
»Wie kommst du darauf, daß ich eine Dame bin?«
Das traf ihn wieder unvorbereitet, aber allmählich gewöhnte er sich daran. Außerdem hatte er inzwischen festgestellt, daß er ein Gespräch mit einem Mädchen ziemlich nötig hatte, egal über welches Thema. Zum erstenmal erwiderte er ihr Lächeln.
»Na ja, es wäre nicht sehr nett von mir, etwas anderes anzunehmen.«
»Ich hab mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis du mal lächelst.« Du hast ein sehr nettes Lächeln, sagte ihm ihr Tonfall.
Sechs Monate. Was sagst du nun? hätte er beinahe geantwortet. Statt dessen lachte er, hauptsächlich über sich selbst. Auch etwas, das er schon lange nötig gehabt hatte.
»Es tut mir leid. Ich schätze, ich bin kein guter Gesellschafter.« Er wandte ihr wieder seinen Blick zu und sah Verständnis in ihren Augen. Nur ein stiller Blick, sehr menschlich und weiblich, aber Kelly fühlte sich ertappt. Er spürte die Wirkung, achtete aber nicht auf den Teil seines Bewußtseins, der ihm sagte, daß er auch das seit Monaten sehr nötig gehabt hatte. Das mußte ihm nicht extra gesagt werden, besonders nicht von ihm selbst. Einsamkeit war schon schlimm genug, ohne auch noch darüber nachzudenken, wie elend man sich dabei fühlte. Wieder streckte sie die Hand aus, offensichtlich, um die Tätowierung zu befühlen, aber das war nicht alles. Erstaunlich, wie warm ihre Berührung war, selbst unter einer heißen Nachmittagssonne. Vielleicht ließ sich daran ablesen, wie kalt es in seinem Leben geworden war.
Aber er hatte sein Boot zu steuern. Tausend Meter vor ihm lag ein Frachter. Kelly war nun in voller Fahrt, und die Trimmruder
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