01 - komplett
Clara sich von Fleet verabschieden. Doch er bestand darauf, sie hineinzubegleiten.
Als sie in das Foyer traten, waren ihre Wangen rosig überhaucht, was zum einen von der draußen herrschenden Kälte herrührte, zum anderen aber auch von dem Streit, in den sie sich hatte verwickeln lassen. Noch immer streckte Clara das Kinn kampflustig vor. Sie hielt sich sehr aufrecht und weigerte sich, Fleet in die Augen zu schauen.
Sebastian fand das amüsant, ärgerlich und verführerisch zugleich. Wie gern hätte er den überheblichen, abweisenden Ausdruck von ihrem Mund fortgeküsst! Wie sehnte er sich danach, den Stolz aus ihrer Miene zu tilgen und einen Ausdruck des Verlangens auf ihr Gesicht zu zaubern! Er wollte, dass ihr Körper mit den wunderbar weiblichen Rundungen sich an den seinen schmiegte und unter seinen zärtlichen Berührungen erschauerte.
Von jeher hatte er Clara Davencourt auf die einfachste und ursprünglichste männliche Art gewollt. Er begehrte sie mehr als all die Frauen, die er im Laufe seines Lebens besessen hatte. Schade, dass die Freundschaft zu ihrem Bruder Martin es ihm verbot, diese bezaubernde Schönheit zu verführen. Er würde lernen müssen, mit dieser Enttäuschung zu leben. Da war es nicht hilfreich, ihr seine Begleitung zu Bällen, Theaterbesuchen, Ausfahrten und Dinnergesellschaften anzubieten. Im Gegenteil, es war schlichtweg dumm. Eigentlich hätte er dankbar dafür sein sollen, dass sie sein Angebot zurückgewiesen hatte.
Unzufrieden mit sich selbst, gestand er sich ein, dass er das Bedürfnis verspürte, sie vor Männern wie Walton und Tarver zu schützen. Deren Interesse an Clara hatte ungewohnte Gefühle in ihm geweckt. Es verlangte ihn danach, als ihr Beschützer aufzutreten. Ja, er verspürte den Wunsch, sie nicht mehr aus den Augen zu lassen. Er wollte ihr zur Seite stehen, um alles Böse von ihr fernzuhalten und um sich in dem Bewusstsein zu sonnen, von ihr auserwählt zu sein.
Welch eine Dummheit! In seinem eigenen Interesse hätte er alles tun müssen, um zu verhindern, dass Clara irgendwelche natürlichen Triebe, irgendwelche ungehörigen Wünsche und Gefühle in ihm wachrief.
In der Eingangshalle trafen sie auf Lady Juliana Davencourt, was zumindest bewirkte, dass das lastende Schweigen durchbrochen wurde. Juliana trug ein offenbar altes, einfach geschnittenes Kleid, was Sebastian sehr erstaunte. Niemals hätte er vermutet, dass der Kleiderschrank der eigenwilligen Dame etwas so Unmodisches enthielt.
Juliana, die in jedem Arm ein Baby hielt, begrüßte Clara und ihren Begleiter mit einem Lächeln.
Sie sieht so jung aus, so lebendig und glücklich, dachte Fleet. Wie seltsam! Er hatte sie zum ersten Mal getroffen, als sie in die Gesellschaft eingeführt wurde, und war ihr in den Jahren darauf immer wieder begegnet. Es hatte sogar eine Zeit gegeben, während deren er gedacht hatte, ihr ungewöhnlicher weiblicher Zynismus sei genau das, was ihm als Gegenpol zu seiner eigenen zynischen Weltsicht fehle. Jetzt allerdings hatte er den Eindruck, dass jene einst so bissig und hart wirkende Frau gänzlich verschwunden war. Juliana hatte sich mehr geändert, als er jemals für möglich gehalten hätte. Warum um Himmels willen, schleppte sie zum Beispiel diese Babys mit sich herum? Davencourt war doch wohlhabend genug, um ein Kindermädchen zu beschäftigen! Ja, er hätte sich wahrscheinlich problemlos eins für jedes Kind leisten können. Allerdings war es gerade modern, sich selbst um den Nachwuchs zu kümmern – eine Vorstellung, die ihn erschauern ließ.
„Sebastian“, rief Juliana, „wie schön, Sie zu sehen.“
Da sie die Säuglinge trug, konnte sie ihm nicht die Hand reichen, wofür er dankbar war, denn vermutlich war sie nicht wirklich sauber.
Jetzt wandte Juliana sich Clara zu. Nach ein paar freundlichen Worten forderte sie ihre Schwägerin und den Duke auf, ihr in die Bibliothek zu folgen, wo ein warmes Feuer im Kamin prasselte.
Während Clara aus dem Mantel schlüpfte, bewunderte Sebastian ihre Figur, die durch das modische Kleid aufs Vorteilhafteste betont wurde. Er war so beeindruckt, dass es ihm schwerfiel, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren.
„Hat dir die Ausfahrt gefallen, Clara?“, wollte Juliana wissen.
„O ja, obwohl es wirklich sehr kalt war. Und im Westen ziehen sich Wolken zusammen. Ich denke, es könnte heute noch Schnee geben.“ Geschickt nahm sie ihrer Schwägerin eines der Babys ab. „Wie geht es unserer kleinen Rose denn heute?“,
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