01 - Nicht ohne meine Tochter
Dabei hinterließ sie eine dicke Zuckerspur auf den Teppichen, sozusagen als Frühstückseinladung für die Kakerlaken. Ich fand den Tee stark und heiß, überraschend wohlschmeckend. Als ich ihn probierte, sagte Ameh Bozorg etwas zu Moody. »Du hast keinen Zucker genommen.«, sagte er. Ich bemerkte, dass Moody ganz anders sprach als zu Hause, viel förmlicher, wie viele Menschen, für die Englisch eine Fremdsprache ist. Schon vor langer Zeit hatte Moody sich angewöhnt, wie ein Amerikaner zu sprechen. Weshalb nun die Veränderung?, fragte ich mich stumm. War er wieder dazu übergegangen, in Farsi zu denken und vor dem Sprechen ins Englische zu übersetzen? Laut antwortete ich auf seine Frage. »Ich möchte keinen Zucker«, sagte ich. »Er schmeckt gut.« »Sie ist beunruhigt über dich.«, sagte er. »Aber ich habe ihr gesagt, dass du süß genug bist. Du brauchst keinen Zucker.« Ameh Bozorgs tiefliegenden Augen war deutlich zu ersehen, dass sie den Scherz nicht zu würdigen wusste. Tee ohne Zucker zu trinken, war offensichtlich taktlos, aber das war mir gleichgültig. Ich erwiderte den funkelnden Blick meiner Schwägerin, nippte an meinem Tee und brachte ein Grinsen zustande.
Das Brot, das uns angeboten wurde, war ungesäuert, geschmacklos, flach und trocken und hatte die Konsistenz schlaffer Pappe. Der Käse war scharfer Schafskäse. Mahtab und ich mögen beide gern Schafskäse, aber Ameh Bozorg wusste nicht, dass man ihn mit Flüssigkeit bedeckt lagern muss, damit er seinen Geschmack behält. Dieser Käse roch wie schmutzige Füße. Mahtab und ich würgten soviel hinunter, wie wir konnten.
Später an dem Morgen setzte sich Madschid, der jüngste Sohn, lange zu mir. Er war gutmütig und freundlich, und sein Englisch war leidlich. Es gab so viele Dinge, die er uns zeigen wollte. Wir müssten den Schah-Palast sehen, sagte er, und den Mellatt-Park, in dem es eine Teheraner Rarität gab: Rasen. Außerdem wollte er mit uns zum Einkaufen fahren. Das würde alles warten müssen, das war uns klar. Die ersten paar Tage würden wir dem Empfang von Besuchern widmen müssen. Verwandte und Freunde von nah und fern wollten Moody und seine Familie sehen.
An diesem Morgen bestand Moody darauf, dass wir meine Eltern in Michigan anriefen, und das wurde ein Problem. Meine Söhne Joe und John, die sich bei meinem Ex-Mann in Michigan aufhielten, wussten, wo wir waren, aber ich hatte sie zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ich wollte nicht, dass Mom und Dad es wussten. Sie würden sich Gedanken machen. Und im Moment hatten sie zu viele andere Sorgen. Dad kämpfte mit einer Krankheit, die als unheilbarer Darmkrebs diagnostiziert worden war. Ich hatte meine Eltern nicht noch stärker belasten wollen, deshalb hatte ich ihnen nur gesagt, dass wir nach Europa fuhren.
»Ich möchte ihnen nicht sagen, dass wir im Iran sind.«, sagte ich. »Sie wussten doch, dass wir fahren«, sagte er. »Nein, das wussten sie nicht. Ich habe ihnen gesagt, dass wir nach London fahren.« »Als wir sie zum letzten Mal gesehen haben,«, sagte Moody, »habe ich ihnen beim Hinausgehen gesagt, dass wir in den Iran fahren.« Also riefen wir an. Fast um die halbe Welt hörte ich die Stimme meiner Mutter. Nach der Begrüßung fragte ich nach Dad. »Es geht ihm ganz gut.«, sagte Mom. »Aber die Chemotherapie macht ihm sehr zu schaffen.« Schließlich erzählte ich ihr, dass ich aus Teheran anrief. »O mein Gott!«, sagte sie. »Das habe ich befürchtet.« »Macht euch keine Sorgen. Hier ist alles bestens.«, schwindelte ich. »Am siebzehnten sind wir zu Hause.« Ich ließ Mahtab ans Telefon und sah, wie ihre Augen aufleuchteten, als sie die vertraute Stimme ihrer Oma hörte. Nach dem Anruf drehte ich mich zu Moody um. »Du hast mich angelogen!«, beschuldigte ich ihn. »Du hast gesagt, sie wüssten, wohin wir fliegen, und sie wussten es nicht.« »Tja, ich hatte es ihnen gesagt.«, sagte er achselzuckend. Mich überkam ein Anflug von Panik. Hatten meine Eltern ihn nicht verstanden? Oder hatte ich Moody bei einer Lüge ertappt?
Moodys Verwandte kamen in Scharen, drängten sich zum Mittag- oder Abendessen in die Halle. Den Männern überreichte man an der Tür bequeme Pyjamas. Sie gingen schnell in ein anderes Zimmer, zogen sich um und kamen dann zu uns in die Halle. Ameh Bozorg hielt einen steten Vorrat an bunten Tschadors für die Besucherinnen bereit, die erstaunlich geschickt darin waren, sich aus dem schwarzen Straßen-Tschador zu pellen
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