01 - Schatten der Könige
umklammerten, die Hebamme, eine große, verbitterte Frau, die einmal eine kathrisische Aristokratin gewesen war, die Schwangere und das kleine Fünkchen Leben, ein Junge, der darum kämpfte, das Licht der Welt zu erblicken. Auf der anderen Seite des Raumes hockte der verzweifelte Ehemann der Frau. Er war Bannerträger in Gunderleks unseliger Armee gewesen. Freunde der Familie hatten ihn in die Stadt geschmuggelt, vorbei an den Wächtern des Kriegsherrn Azurech.
Dann schien Suviel wie durch einen Nebel fortzuschweben und sah das zweistöckige Haus mit dem flachen Dach und die tristen Nachbarhäuser mit ihren winzigen Hinterhöfen. In einem kaute ein räudiger Köter auf einem fleischlosen Knochen. Die dunkle, gepflasterte Straße war von Abfall übersät, und in einer Gasse nicht weit entfernt lag immer noch der Leichnam eines Mannes. Sein Gesicht war im Tod zu einer verzerrten Fratze erstarrt, und sein Ohrläppchen war ein blutiger Fetzen. Jemand hatte ihm einen Ring herausgerissen.
Irgendwann nahm Suviel undeutlich wahr, dass die alten Weiber sie aus dem Raum führten. Sie flüsterten zitternd ihren Dank und Trost. Das Kind war gesund geboren worden, und seine Mutter lebte. Der Ehemann trat zu ihr an das niedrige Feuer und stammelte einige dankbare Worte, die sie nur mit einem müden Nicken quittierte.
Die Hitze des Feuers hüllte sie in wohlige Wärme. Plötzlich fühlte sie dicke, schwere Decken auf sich und fand sich auf einer gesteppten Matratze und einem mit grober Baumwolle bezogenen Kissen wieder, das nach Kräutern duftete. Suviel war müde bis auf die Knochen, registrierte jedoch noch den Geruch von Cantusblättern und einen Hauch von mulchiger Regenrinde, bevor der Schlaf sie übermannte.
Das harsche, blasse Licht des Tages füllte das Zimmer mit Grautönen und vertrieb die letzten Schleier von Suviels Schlummer. Sie kleidete sich rasch in ihr einfaches grünes Kleid und den geflickten braunen Mantel, welche sie als Kräuterweib tarnten, verließ den winzigen Raum und stieg die Treppe zum Dach hinauf. Während der Nacht hatte es geregnet. Die Luft war kalt und klar, und die grob verlegten Schindeln des Daches waren noch dunkel von Feuchtigkeit. Suviel setzte sich auf eine Kiste, die einigermaßen solide aussah, und schaute über die Stadt. Sie ließ ihre Gedanken schweifen, und sah zu, wie der Morgen allmählich graute.
Vor dem Fall des Kaiserreiches war Choroya eine blühende, belebte Hafenstadt gewesen, ebenso berühmt für ihre Schauspielgruppen wie für ihre reichen Kaufleute. Jetzt waren von den Theatern nur noch ausgebrannte Ruinen übrig, und in den menschenleeren Markthallen erzielten die armseligen Produkte der nördlichen Ackerländer absurd hohe Preise.
Suviel kniff die Augen zusammen und spähte durch den Dunst nach Norden. Sie betrachtete den ausgedehnten Flickenteppich aus Feldern und kleineren Gehöften, der sich bis zum weit entfernten Vorgebirge erstreckte. Sie erkannte die dunklen Ränder der Marschen und einige bleigraue Gebiete, in denen nichts wuchs. Dieser einst so fruchtbare Boden war während der Invasion von den Schamanen der Mogaun vergiftet worden.
Früher einmal hatte dieses Land fast die Hälfte der Bewohner Honjirs satt gemacht. Doch die letzte Ernte minderwertigen Getreides und der stark dezimierte Viehbestand genügten kaum, die Bewohner Choroyas und der umliegenden Siedlungen in den bevorstehenden Wintermonaten vor dem Verhungern zu bewahren.
Schuld ist der Fluch, der über diesem Land liegt, dachte sie verbittert. Kriegsherrn und Banditenhäuptlinge führen ihre Scharmützel und armseligen Kriege mitten in den Ruinen unserer vergangenen Größe, während das Volk leidet, klagt und blutet.
Suviel trocknete mit einer Falte ihres Kleides die Tränen in ihren Augen. Dann schaute sie noch weiter in die Ferne, richtete ihren Blick auf die Berge und versuchte sich vorzustellen, was jenseits von ihnen lag. In ihrem Geist sah sie die Länder Khatrimantines, wie sie in ihrer Jugend gewesen waren. Angefangen von den dichten Wäldern Kejanas, über die Weinberge und Obstgärten von Ebro'Heth und die singenden Höhlenklippen Yularias, bis zur windumtosten Inselgruppe von Ogucharn. Sie erinnerte sich daran, wie sie auf den Hexenmähren von Jefren geritten war, auf einem Fischerboot der Dalbari in den Rachen eines Sommerorkans gesegelt war und sich den Traumriten der Magierzunft auf einem eisigen Berggipfel in Prekine unterzogen hatte.
Jetzt jedoch schlurften nur noch die
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