01 - Winnetou I
Liebe sei.“
„Du mußt unterscheiden zwischen der Religion und dem Anhänger derselben, welcher sich nur äußerlich zu ihr bekennt, aber nicht nach ihr handelt!“
„So sagen die Bleichgesichter alle; sie nennen sich Christen, handeln aber nicht danach. Wir aber haben unsern großen Manitou, welcher will, daß alle Menschen gut seien. Ich bemühe mich, ein guter Mensch zu sein, und bin da vielleicht ein Christ, ein besserer Christ als diejenigen, die sich zwar so nennen, aber keine Liebe besitzen und nur nach ihrem Vorteil trachten. Also sprich nie zu mir vom Glauben, und versuche nie, aus mir einen Mann zu machen, der ein Christ genannt wird, ohne es vielleicht zu sein! Das ist die Bitte, welche du mir erfüllen mußt!“
Ich habe sie ihm erfüllt und nie ein Wort über meinen Glauben zu ihm gesagt. Aber muß man denn reden? Ist nicht die Tat eine viel gewaltigere, eine viel überzeugendere Predigt als das Wort? „An ihren Werken sollt ihr sie erkennen“, sagt die heilige Schrift, und nicht in Worten, sondern durch mein Leben, durch mein Tun bin ich der Lehrer Winnetous gewesen, bis er einst, nach Jahren, an einem mir unvergeßlichen Abend, mich selbst aufforderte, zu sprechen. Da saßen wir stundenlang beisammen, und in jener weihevollen Nacht ging all der im stillen gesäte Samen plötzlich auf und brachte herrliche Frucht.
Jetzt begnügte ich mich damit, ihm die Hand zu drücken, zum Zeichen, daß ich seinen Wunsch erfüllen wolle. Dann fuhr er fort:
„Wie ist es denn gekommen, daß mein Bruder Old Shatterhand sich den Länderdieben angeschlossen hat? Wußte er denn nicht, daß dies ein Verbrechen an den roten Männern war?“
„Ich hätte es mir sagen können, habe aber gar nicht daran gedacht. Ich war froh, Surveyor werden zu dürfen, denn ich wurde sehr gut bezahlt.“
„Bezahlt? Ich denke, Ihr seid gar nicht fertig geworden? Bezahlte man Euch denn, bevor die Arbeit vollendet war?“
„Nein. Ich erhielt einen Vorschuß und die Ausrüstung. Das, was ich mir verdient habe, wäre mir nach beendetem Werk ausgezahlt worden.“
„Und nun kommst du um dieses Geld?“
„Ja.“
„Ist es viel?“
„Für meine Verhältnisse sehr viel.“
Er schwieg eine Weile; dann sagte er:
„Es tut mir sehr leid, daß mein Bruder durch uns solchen Schaden erlitten hat. Du bist nicht reich?“
„An allem andern reich, aber in Beziehung auf das Geld bin ich ein armer Teufel.“
„Wie lange hättet ihr noch zu messen gehabt, um zu Ende zu kommen?“
„Nur einige Tage.“
„Uff! Hätte ich dich so gekannt, wie ich dich jetzt kenne, so wären wir einige Tage später über die Kiowas hergefallen.“
„Damit ich hätte fertig werden können?“ fragte ich, gerührt durch diesen Edelmut.
„Ja.“
„Das heißt, du hättest uns den Diebstahl vollends ausführen lassen?“
„Den Diebstahl nicht, sondern nur die Vermessung. Die Linien, welche ihr auf das Papier zeichnet, schaden uns noch nichts, denn damit ist der Raub noch nicht ausgeführt. Dieser beginnt vielmehr eigentlich erst dann, wenn die Arbeiter der Bleichgesichter kommen, um den Pfad des Feuerrosses zu bauen. Ich würde dir – – –“
Er hielt mitten in seiner Rede inne, um über einen Gedanken, der ihm gekommen war, klar zu werden. Dann fuhr er fort:
„Müßtest du, um dein Geld zu erhalten, die Papiere haben, von denen ich soeben sprach?“
„Ja.“
„Uff! So wird es dir nie ausgezahlt werden, denn alles, was ihr gezeichnet habt, ist vernichtet worden.“
„Und was ist mit unsern Instrumenten geschehen?“
„Die Krieger, denen sie in die Hände fielen, wollten sie zerschlagen, aber ich gab dies nicht zu. Obgleich ich keine Schule der Bleichgesichter besucht habe, weiß ich doch, daß solche Gegenstände einen hohen Wert besitzen, und darum gab ich den Befehl, sie sorgfältig aufzubewahren. Wir haben sie mit hierher gebracht und gut aufgehoben. Ich werde sie meinem Bruder Old Shatterhand wiedergeben.“
„Ich danke dir. Ich nehme dieses Geschenk von dir an, obgleich es mir direkt nun keinen Nutzen bringt. Es ist mir aber sehr lieb, daß ich die Instrumente wieder abliefern kann.“
„Nutzen also bringen sie dir nicht?“
„Nein. Den würde ich nur dann haben, wenn ich die Vermessung vollends ausführen könnte.“
„Aber es fehlen dir doch die Papiere, welche vernichtet worden sind!“
„Nein. Ich war so vorsichtig, die Zeichnungen zweimal anzufertigen.“
„So besitzt du die zweiten noch?“
„Ja, hier in
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