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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Dann wurden die Überreste des einstigen Revolutionärs und späteren Büßers in das Innere des Steinbaues geschoben, worauf sich die Roten daran machten, die Öffnung zu verschließen.
    Das war meine erste Leichenfeier unter Wilden. Sie hatte mich tief ergriffen. Ich will nicht die Anschauungen kritisieren, welche Intschu tschuna dabei vorgebracht hatte. Es war viel Wahrheit mit viel Unklarheit vermengt gewesen; aber aus allem hatte ein Schrei nach Erlösung geklungen, nach einer Erlösung, welche er, wie einst das Volk Israel, sich äußerlich dachte, während sie doch nur eine innerliche, eine geistliche sein konnte.
    Während das Grab geschlossen wurde, erklangen wieder die Totenklagen der Indianer, und erst dann, als der letzte Stein eingefügt worden war, konnte die Feier als beendet gelten, und jeder ging nun heiteren Beschäftigungen nach. Dies war vor allen Dingen das Essen, zu welchem mich Intschu tschuna zu sich einlud.
    Er bewohnte das größte Gemach der schon erwähnten Etage. Es war sehr einfach ausgestattet, aber an den Wänden hing eine reiche, indianische Waffensammlung, welche mein lebhaftes Interesse in Anspruch nahm. ‚Schöner Tag’ bediente uns, nämlich ihren Vater, Winnetou und mich, und ich fand, daß sie Meisterin in der Zubereitung indianischer Gerichte war. Gesprochen wurde wenig, ja fast gar nicht. Der Rote schweigt überhaupt gern, und heute war schon so viel geredet worden, daß man alles, was noch zu verhandeln war, gern für später aufhob. Nach dem Essen war die Dämmerung schnell da. Winnetou fragte mich:
    „Will mein weißer Bruder ruhen oder mit mir gehen?“
    „Ich gehe mit“, antwortete ich, ohne mich zu erkundigen, wohin er wollte.
    Wir stiegen vom Pueblo herab und gingen nach dem Fluß. Das hatte ich erwartet. Eine so tief gegründete Natur wie Winnetou wurde unbedingt zum Grab des heut bestatteten Lehrers getrieben. Bei demselben angekommen, setzten wir uns dort nebeneinander nieder. Winnetou ergriff meine Hand und behielt sie in der seinigen, ohne lange Zeit ein Wort zu sagen, und ich hatte keine Veranlassung, die Stille zu unterbrechen.
    Notwendigerweise muß ich hier bemerken, daß nicht alle Apachen, welche ich bisher gesehen hatte, mit ihren Angehörigen im Pueblo wohnten. Dazu wäre dieses, so groß es war, denn doch viel, viel zu klein gewesen. Es wurde nur von Intschu tschuna und seinen hervorragendsten Kriegern mit ihren Familien bewohnt und bildete den Mittelpunkt für die mit ihren Pferdeherden und jagend herumziehenden Zugehörigen des Stammes der Mescalero-Apachen. Von hier aus regierte der Häuptling diesen Stamm, und von hier aus unternahm er auch die weiten Ritte zu den andern Stämmen, die ihn als obersten Häuptling anerkannten. Dies waren die Llaneros, Jicarillas, Taracones, Chiriguais, Pinalenjos, Gilas, Mimbrenjos, Lipans, Kupferminenapachen und andere; ja selbst die Navojos pflegten sich, wenn nicht seinen Befehlen, so doch seinen Anordnungen zu fügen.
    Diejenigen Mescaleros, welche nicht in das Pueblo gehörten, hatten sich nach dem Begräbnis entfernt, und es waren nur so viele von ihnen zurückgeblieben, wie nötig waren, um die von den Kiowas überkommenen Pferde, welche in der Nähe weideten, zu beaufsichtigen. Darum saß ich jetzt mit Winnetou allein und unbeobachtet am Grab Klekih-petras. Von diesem will ich erwähnen, daß am nächsten Tag wirklich Eicheln um dasselbe in die Erde gebracht wurden, welche später aufgingen. Die Bäume stehen noch jetzt.
    Endlich brach Winnetou das Schweigen, indem er mich fragte:
    „Wird mein Bruder Old Shatterhand vergessen, daß wir seine Feinde gewesen sind?“
    „Es ist bereits vergessen“, antwortete ich.
    „Aber eines wirst du nicht vergeben können.“
    „Was?“
    „Die Beleidigung, welche mein Vater dir zugefügt hat.“
    „Wann?“
    „Als wir dich zum erstenmal trafen.“
    „Ah, daß er mir in das Gesicht spuckte?“
    „Ja.“
    „Warum sollte ich dies nicht vergeben können?“
    „Weil Speichel nur mit dem Blut des Betreffenden abgewaschen werden kann.“
    „Winnetou mag sich nicht sorgen. Auch das ist bereits vergessen.“
    „Mein Bruder sagt etwas, was ich unmöglich glauben kann.“
    „Du kannst es glauben. Es ist ja längst bewiesen, daß ich es vergeben habe.“
    „Wodurch?“
    „Dadurch, daß ich es Intschu tschuna, deinem Vater, gar nicht übelgenommen habe. Oder meinst du, Old Shatterhand lasse sich anspucken, ohne auf diese Beleidigung, wenn er sie als eine solche

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