01 - Winnetou I
Santer saß; so sagte ich mir. Also schob ich mich von Baum zu Baum, um den letzteren zu entdecken.
Nach einigem Suchen sah ich ihn; er saß mit vier Indianern zusammen, von denen allerdings keiner das Abzeichen der Häuptlingswürde trug; das war auch gar nicht nötig, denn nach den Gebräuchen der Roten mußte der Älteste dieser vier der Anführer sein. Leider konnte ich mich nicht so nahe hin wagen, wie ich gern wollte, denn es gab kein Unterholz, in dem ich Schutz und Deckung gefunden hätte. Aber einige Bäume standen so, daß ihr Gesamtschatten mir eine, wenn auch nur zweifelhafte Sicherheit bot. Da acht Feuer brannten, warf jeder Baum mehrere Schatten, Halbschatten, welche hin und her zitterten und dem Innern des Wäldchens ein gespenstisches Aussehen verliehen.
Zu meiner Freude sprachen die Roten nicht leise, sondern laut miteinander, denn es lag doch nicht in ihrer Absicht, heimlich zu tun; wir sollten sie nicht nur sehen, sondern auch hören. Ich erreichte den erwähnten Schatten und blieb dort liegen, vielleicht zwölf Schritte von Santers Gruppe entfernt. Es war kein geringes Wagnis von mir, da ich von den andern Roten viel leichter als von dieser Gruppe aus entdeckt werden konnte. Ich hörte, daß Santer das große Wort hatte. Er erzählte von dem Nuggetberg und forderte die Roten auf, mit ihm dorthin zu ziehen und den Schatz zu heben.
„Weiß mein weißer Bruder den Ort, an dem er zu finden ist?“ fragte der älteste der vier Indianer.
„Nein. Wir wollten ihn erfahren, aber die Apachen kamen zu schnell zurück. Wir glaubten, sie würden sich so lange verweilen, daß wir sie belauschen könnten.“
„Dann ist alles Suchen vergeblich: Es können zehnmal hundert Mann hingehen, um nachzuforschen; sie werden nichts finden. Die roten Männer verstehen es sehr gut, solche Stellen völlig unkenntlich zu machen. Aber da mein Bruder den größten unserer Feinde und seine Tochter erschossen hat, so werden wir ihm den Gefallen tun, später mit ihm hinzureiten und ihm suchen zu helfen. Vorher aber müssen wir deine Verfolger fangen und dann auch Winnetou töten.“
„Winnetou? Der wird doch bei ihnen sein!“
„Nein, denn er darf nicht von seinen Toten fort und wird auch die größere Hälfte seiner Krieger bei sich behalten. Die kleinere Hälfte ist dir nach und wird von Old Shatterhand, dem weißen Hund, angeführt, welcher unserm Häuptling die Knie zerschmettert hat. Diese Schar werden wir heute überwältigen.“
„Dann reiten wir nach dem Nuggetberg, um Winnetou kaltzumachen und nach dem Gold zu suchen!“
„Das ist nicht so möglich, wie mein Bruder denkt. Winnetou hat seinen Vater und seine Schwester zu begraben, wobei er nicht gestört werden darf, denn der große Geist würde uns dies nie verzeihen. Aber dann, wenn er fertig ist, überfallen wir ihn. Er wird nun nicht nach den Städten der Bleichgesichter ziehen, sondern heimkehren. Da legen wir ihm einen Hinterhalt und locken ihn so heran, wie wir es heut mit Old Shatterhand tun, der ganz gewiß dabei ist. Ich warte nur, daß mein Späher zurückkehrt, der sich drüben versteckt hat. Und auch die Wächter, welche sich weit draußen hingelegt haben, haben mir noch keine Meldung gesandt.“
Als ich dies hörte, erschrak ich. Es lagen also Posten vor dem Wäldchen. Wenn Sam Hawkens diese nicht bemerkte und zwischen sie geriet! Kaum hatte ich dies gedacht, so hörte ich ein kurz ausgestoßenes Geschrei mehrerer Stimmen. Der Anführer sprang auf und lauschte. Auch alle andern Kiowas waren still und horchten.
Da näherte sich dem Wäldchen ein Gruppe, welche aus vier Roten bestand, die einen Weißen geschleppt brachten. Er sträubte sich, doch ohne Erfolg. Er war zwar nicht gefesselt, wurde aber von den vier Messern seiner Besieger in Schach gehalten. Dieser Weiße war – – – mein unvorsichtiger Sam! Mein Entschluß stand sofort fest: ich durfte ihn nicht steckenlassen, obwohl ich dabei mein Leben wagte.
„Sam Hawkens!“ rief Santer, der ihn erkannte. „Good evening, Sir! Habt wohl nicht geglaubt, mich hier wiederzufinden?“
„Schuft, Räuber, Mörder!“ antwortete ihm der furchtlose Kleine, indem er ihn bei der Gurgel packte. „Gut, daß ich die habe; nun bekommst du deinen Lohn, wenn ich mich nicht irre.“
Der Angegriffene wehrte sich. Die Roten griffen zu und rissen Sam von ihm weg. Das gab einen kurzen Tumult, den ich schnell benutzte. Ich zog die beiden Revolver, sprang nach der Stelle hin und mitten unter die
Weitere Kostenlose Bücher