01 - Winnetou I
rückten weiter und weiter vor und sahen keinen Menschen. Endlich überzeugten wir uns, freilich unter Beachtung aller Vorsicht, daß das Wäldchen leer war. Es gab keinen einzigen Kiowa mehr da.
„Sie sind fort, wirklich fort, heimlich fort!“ sagte Parker erstaunt. „Und doch haben sie die Feuer noch so geschürt!“
„Um ihren Rückzug zu maskieren. Solange die Feuer brennen, müssen wir denken, daß sie noch da sind.“
„Aber wohin sind sie? Ganz fort?“
„Ich vermute es, weil Sam für sie eine gute Beute ist, die sie in Sicherheit bringen wollen. Aber es ist auch möglich, daß sie eine Teufelei beabsichtigen.“
„Welche?“
„Uns drüben zu überfallen, wie wir sie jetzt hier hüben angegriffen hätten.“
„Wetter, das ist freilich möglich! Da müssen wir schleunigst vorbeugen, Sir!“
„Ja; wir müssen hinüber und unsere Pferde in Sicherheit bringen, auch wenn es sich später als unnötig erweisen sollte. Besser ist besser.“
Wir stiegen zu den Apachen hinab und eilten nach unserm Lagerplatz, wo wir alles in Ordnung fanden. Doch die Kiowas konnten auch noch später kommen; darum stiegen wir auf und ritten ein tüchtiges Stück in die Prärie hinein, wo wir uns lagerten. Wenn die Kiowas ja noch kamen, so fanden sie uns nicht am alten Platz und mußten den Tag abwarten, um uns zu sehen. Den Gefangenen hatten wir natürlich nicht liegen lassen, sondern mitgenommen.
Nun blieb auch uns nichts anderes übrig, als uns bis zum Morgen zu gedulden. Wer schlafen konnte, der schlief; wer das nicht fertigbrachte, der wachte. So verging die Nacht, und als der Morgen zu dämmern begann, setzten wir uns auf die Pferde und ritten zunächst nach unserm Lagerplatz zurück. Es war niemand dagewesen, und wir hatten uns also ohne Grund entfernt; doch das schadete nichts. Dann ging es über den Fluß nach dem Wäldchen hinüber. Die Feuer waren niedergebrannt und hatten Aschenhaufen hinterlassen als die einzigen Zeichen davon, daß es gestern hier so lebhaft zugegangen war.
Nun untersuchten wir die Spuren. Von der Stelle, an welcher ich die Pferde gesehen hatte, führte die Gesamtspur der Kiowas fort; sie waren hier aufgestiegen und hatten sich in südöstlicher Richtung entfernt. Es lag klar, daß sie es aufgegeben hatten, sich in einen Kampf mit uns einzulassen, welcher ihnen keinen Nutzen bringen konnte, weil es ihnen nicht mehr möglich war, uns zu überraschen.
Und Sam? Den hatten sie mitgenommen, was Dick Stone und Will Parker außerordentlich in das Gemüt griff. Auch mir tat das liebe Kerlchen herzlich leid, und ich war gern bereit, alles halbwegs Vernünftige zu seiner Befreiung zu unternehmen.
„Wenn wir ihn nicht losmachen, so werden sie ihn am Pfahl martern“, klagte Dick Stone.
„Nein“, tröstete ich ihn. „Wir haben ja auch einen Gefangenen, eine Geisel für ihn.“
„Aber ob sie das wissen!“
„Jedenfalls. Sam ist unbedingt so klug gewesen, es ihnen zu sagen. Wie man es mit ihm macht, so machen wir es mit unserem Gefangenen.“
„Aber wir müssen diesen Indsmen nachreiten, es mag stehen, wie es will!“
„Nein.“
„Was? Ihr wollt ihn im Stich lassen?“
„Auch nein.“
„Aber wie reimt Ihr dieses beides zusammen?“
„Dadurch, daß ich mich von diesen roten Kerls nicht an der Nase in der Savanne herumführen lasse.“
„An der Nase? Ich verstehe Euch nicht.“
„Nun, seht Euch einmal ihre Fährte an! Wie alt ist sie wohl?“
„Sie sind schon vor Mitternacht fort, wie es den Anschein hat.“
„Das denke ich auch. Von da an bis jetzt sind gegen zehn Stunden vergangen. Denkt Ihr, daß wir diesen Vorsprung heut einholen können?“
„Nein.“
„Oder morgen?“
„Auch nicht.“
„Und wohin meint Ihr, daß sie geritten sind?“
„Nach ihrem Dorf.“
„So kommen sie dort an, ehe wir sie einholen können. Seid Ihr nun vielleicht der Ansicht, daß wir zwölf Personen uns mitten in das weite Gebiet der Kiowas wagen können, um eines ihrer Dörfer zu überfallen und einen Gefangenen zu befreien?“
„Das würde Wahnsinn sein.“
„Schön! Wir sind also einer Meinung; wir reiten ihnen nicht nach.“
Da kratzte er sich hinter dem Ohr und murmelte ratlos und ärgerlich: „Aber Sam, Sam, Sam! Unser alter Sam, was wird mit dem? Wir können ihn doch nicht aufgeben!“
„Nein, das tun wir nicht, sondern wir werden ihn im Gegenteil befreien.“
„Hol Euch der Teufel, Sir! Ich bin nicht dazu geschaffen, diese Art von Rätseln zu lösen. Einmal sagt Ihr,
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