01 - Winnetou I
schwere Kunststück war ihm beinahe gelungen. Sein ganzer Körper befand sich schon im Freien, und nur die eine Schulter und der Arm, der Hals und der Kopf steckten noch in der Hecke.
Ich kroch zu ihm hinan, so daß ich hinter seinem Rücken lag. Er befreite sich mehr und mehr. Er bekam die Schulter frei, den Hals, den Kopf und hatte nun nur noch den Arm herauszuziehen. Da richtete ich mich auf die Knie empor, faßte mit der Linken seinen Hals und hieb ihm mit der Faust zwei-, dreimal an den Kopf; da lag er still.
„Was war das?“ fragte Sam. „Habt ihr nichts gehört?“
„Old Shatterhands Pferd stampfte“, antwortete Dick.
„Er ist fort. Wo er sein mag? Er wird doch keine Dummheiten machen!“
„Dummheiten? Der? Der hat noch keine gemacht und wird auch niemals welche machen.“
„Oho! Er ist imstande und sucht die Kiowas heimlich auf, um sie zu alarmieren und diesem Santer das Leben zu erhalten!“
„Nein, das tut er nicht. Lieber erwürgt er den Mörder, als daß er ihn entkommen läßt. Der Tod der beiden Ermordeten ist ihm riesig nahegegangen; das mußt du ihm doch angesehen haben.“
„Mag sein. Aber ich nehme ihn nicht mit, wenn ich nachher die Kiowas beschleiche; er kann mir auch gar nicht dabei nützen. Ich will die Kerls zählen und die Örtlichkeit sehen; dann läßt es sich bestimmen, wie wir angreifen müssen. Er macht seine Sache als Greenhorn oft ganz gut, aber sich bei solchen Feuerflammen dem Lager der Kiowas zu nähern, das bringt er doch nicht fertig. Diese Kerls wissen, daß wir kommen; sie sind also vorsichtig und werden die Ohren so spitzen, daß nur ein alter Westmann an sie kommen kann; ihn aber würden sie gewiß sehen und auch hören.“
Da stand ich auf, trat schnell zu ihm und sagte: „Da irrt Ihr, lieber Sam. Ihr glaubt mich fort, und ich bin doch da. Verstehe ich es also oder nicht, mich anzuschleichen?“
„Alle Wetter!“ antwortete er. „Ihr seid wirklich da? Man hat Euch doch gar nicht bemerkt!“
„Das ist ein Beweis, daß Euch das mangelt, was mir nach Euern Worten mangeln soll. Es sind überhaupt, ohne daß Ihr es wißt, noch ganz andere Leute da als ich.“
„Wer denn, wer? Wen meint Ihr?“
„Geht hin zu den Brombeeren dort; da werdet Ihr ihn sehen, Sam!“
Er stand auf und folgte meiner Weisung; die andern taten nach seinem Beispiel. „Hallo!“ rief er aus. „Da liegt ein Kerl, ein Indianer! Wie kommt der hierher?“
„Das laßt Euch von ihm selbst sagen!“
„Er ist ja tot!“
„Nein. Ich habe ihn nur betäubt.“
„Wo denn? Doch nicht etwa hier? Ihr wäret fort. Ihr habt ihn irgendwo überrascht, ihm einen Eurer Jagdhiebe gegeben und ihn dann hierhergebracht.“
„Das denkt nicht! Er lag hier in den Brombeeren versteckt, und ich habe ihn bemerkt. Als er heraus wollte, um sich davonzuschleichen, gab ich ihm den Hieb. Ihr habt diesen Hieb gehört, denn Ihr fragtet danach, und er wurde für ein Stampfen meines Pferdes gehalten.“
„Alle Teufel, das stimmt! Er ist also wirklich dagewesen, hat im Busch gesteckt und alles gehört, was wir gesprochen haben. Welch ein Unheil für uns, wenn es ihm gelungen wäre, unbemerkt fortzukommen! Wie gut, daß Ihr ihn unschädlich gemacht habt! Bindet und knebelt ihn, wenn ich mich nicht irre! Aber warum ist er nicht drüben bei seinen Leuten? Was hat er hier zu tun gehabt? Er muß doch eher dagewesen sein als wir?“
„Ihr sprecht solche Fragen aus und nennt andere Leute Greenhorns? Das sind doch so recht eigentliche Greenhornfragen! Natürlich ist er eher dagewesen als wir. Die Kiowas wußten, daß wir kommen; sie nahmen an, daß wir der Spur Santers folgen und also hier erscheinen würden. Sie wollten uns empfangen, und um den richtigen Zeitpunkt nicht zu versäumen, stellten sie hier einen Posten aus, der sie benachrichtigen sollte. Aber weil wir zu schnell ritten oder weil er grad nicht gut aufpaßte oder aber weil er grad hier ankam, als wir auch kamen, haben wir ihn überrascht, so daß er sich in den Brombeeren verstecken mußte.“
„Er hätte doch fliehen können, hinüberfliehen zu den Seinen!“
„Dazu fand er keine Zeit, denn wir hätten ihn noch laufen sehen und also erraten müssen, daß die Kiowas von uns wüßten und von ihm gewarnt worden seien. Es ist auch möglich, daß er von vornherein entschlossen war, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen.“
„Dies ist alles ganz gut und möglich. Mag es nun sein, wie es will, es ist ein Glück, daß wir ihn erwischt haben.
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