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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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außerordentliche Begabung besitzen müsse. Wir betrachteten einander mit einem langen, forschenden Blick, und dann glaubte ich zu bemerken, daß in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaß, für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet.
    „Das sind meine Freunde und Begleiter“, sagte Klekih-petra, indem er erst auf den Vater und dann auf den Sohn deutete. „Dieser ist Intschu tschuna (Gute Sonne), der große Häuptling der Mescaleros, welcher auch von allen übrigen Apachenstämmen als Häuptling anerkannt wird. Und hier steht sein Sohn Winnetou, welcher trotz seiner Jugend schon mehr kühne Taten verrichtet hat, als sonst zehn alte Krieger in ihrem ganzen Leben ausgeführt haben. Sein Name wird einst genannt und gerühmt werden, so weit die Savannen und die Felsengebirge reichen.“
    Das klang überschwenglich, war aber, wie ich später erfuhr, gar nicht zuviel gesagt. Rattler lacht höhnisch auf und rief aus:
    „So ein junger Kerl und soll schon solche Taten begangen haben? Ich sage mit Absicht ‚begangen’, denn was er ausgeführt hat, werden doch nur Diebereien, Spitzbübereien und Räubereien gewesen sein. Man kennt das schon. Die Roten stehlen und rauben alle.“
    Dies war eine schwere Beleidigung. Die drei Fremden taten so, als ob sie sie nicht gehört hätten. Sie traten zu dem Bären und betrachteten denselben. Klekih-petra bückte sich nieder und untersuchte ihn.
    „Er ist an den Messerstichen und nicht an einer Kugel gestorben“, sagte er, zu mir gewendet.
    Er hatte meinen Streit mit Rattler heimlich angehört und wollte mir nun konstatieren, daß ich recht gehabt hatte.
    „Wird sich finden“, sagte Rattler. „Was versteht so ein buckeliger Schulmeister von der Bärenjagd. Wenn wir nachher dem Tier das Fell abgezogen haben, so werden wir ganz deutlich sehen, welche Wunde tödlich gewesen ist. Von einem Greenhorn lasse ich mich nicht um mein Recht betrügen.“
    Da bückte sich auch Winnetou zu dem Bären nieder, betastete ihn an den Stellen, wo er blutig war, und fragte mich, als er sich wieder aufgerichtet hatte:
    „Wer hat dieses Tier mit dem Messer angegriffen?“
    Er sprach ein sehr reines Englisch.
    „Ich“, antwortete ich.
    „Warum hat mein junger weißer Bruder nicht auf ihn geschossen?“
    „Weil ich kein Gewehr bei mir hatte.“
    „Hier liegen doch Flinten!“
    „Die gehören nicht mir. Diejenigen, deren Eigentum sie sind, warfen sie weg und kletterten auf die Bäume.“
    „Als wir der Spur des Bären folgten, hörten wir in der Ferne ein großes Angstgeschrei. Wo ist das gewesen?“
    „Hier.“
    „Uff! Die Eichhörnchen und Stinktiere sind da, um auf die Bäume zu fliehen, wenn ein Feind sich ihnen naht. Der Mann aber soll kämpfen, denn wenn er Mut besitzt, so ist ihm die Macht gegeben, selbst das stärkste Tier zu überwinden. Mein junger weißer Bruder hat solchen Mut besessen. Warum wird er da ein Greenhorn genannt?“
    „Weil ich zum erstenmal und nur erst kurze Zeit im Westen bin.“
    „Die Bleichgesichter sind sonderbare Menschen. Bei ihnen wird ein Jüngling, welcher sich nur mit dem Messer an den schrecklichen Grizzly wagt, Greenhorn geschimpft; diejenigen aber, welche aus Furcht auf die Bäume klettern und da oben vor Entsetzen heulen, dürfen sich für tüchtige Westmänner halten. Die roten Männer sind gerechter. Bei ihnen kann ein Tapferer nie als Feigling und ein Feigling nie als Tapferer gelten.“
    „Mein Sohn hat sehr richtig gesprochen“, stimmte sein Vater in einem etwas weniger guten Englisch bei. „Dieses junge, mutige Bleichgesicht ist kein Greenhorn mehr. Wer den Grizzly in dieser Weise erlegt, der ist ein großer Held zu nennen. Und wer es gar noch tut, um andere zu retten, die auf die Bäume entwichen sind, der kann von Ihnen Dank, aber nicht Schimpfreden erwarten. Howgh! Gehen wir hinaus ins Freie, um zu sehen, warum die Bleichgesichter sich hier in dieser Gegend befinden.“
    Welch ein Unterschied zwischen meinen weißen Begleitern und diesen von ihnen verachteten Indianern! Der Gerechtigkeitssinn der Roten trieb sie, ohne daß sie es nötig hatten, sich zu meinen Gunsten auszusprechen. Es war sogar ein Wagnis, daß sie dies taten. Sie waren nur zu dreien und wußten nicht, wieviel Köpfe wir zählten; sie begaben sich gewiß in eine Gefahr, wenn sie sich unsere Westmänner zu Feinden machten. Daran schienen sie aber

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