01 - Winnetou I
drang, mich ihm mitzuteilen. Ich tat es zu meinem Glück. Ich fand, freilich erst nach langen Zweifeln, Vergebung und Trost, festen Glauben und inneren Frieden. Herrgott, wie danke ich dir dafür!“
Er hielt inne, faltete die Hände und warf einen langen, langen, leuchtenden Blick zum Himmel empor. Dann fuhr er fort:
„Um mich innerlich zu festigen, floh ich die Welt und die Menschen; ich ging in die Wildnis. Aber nicht der Glaube allein ist's, welcher selig macht. Der Baum des Glaubens muß die Früchte der Werke tragen. Ich wollte wirken, womöglich grad entgegengesetzt meinem früheren Wirken. Da sah ich den roten Mann sich verzweiflungsvoll sträuben gegen den Untergang; ich sah die Mörder in seinem Leibe wühlen, und das Herz ging mir über von Zorn, von Mitleid und Erbarmen. Sein Schicksal war beschlossen; ich konnte ihn nicht retten; aber eins zu tun, das war mir möglich: ihm den Tod erleichtern und auf seine letzte Stunde den Glanz der Liebe, der Versöhnung fallen lassen. Ich ging zu den Apachen und lernte es, mein Wirken ihrer Individualität anzubequemen. Ich habe Vertrauen gefunden und Erfolge errungen. Ich wollte, Sie könnten Winnetou kennenlernen; er ist so eigentlich mein eigenstes Werk. Dieser Jüngling ist groß angelegt. Wäre er der Sohn eines europäischen Herrschers, so würde er ein großer Feldherr und ein noch größerer Friedensfürst werden. Als Erbe eines Indianerhäuptlings aber wird er untergehen, wie seine ganze Rasse untergeht. Könnte ich doch den Tag erleben, an welchem er sich einen Christen nennt! Wo nicht, so will ich wenigstens bis zum Tage meines Todes bei ihm sein in jeder Anfechtung, Gefahr und Not. Er ist mein geistiges Kind; ich liebe ihn mehr als mich selbst, und wäre mir einmal das Glück beschieden, die tödliche Kugel, die ihm gelten soll, in meinem Herzen aufzufangen, so würde ich mit Freuden für ihn sterben und dabei denken, daß dieser Tod zugleich eine letzte Sühne meiner früheren Sünden sei!“
Er schwieg und senkte den Kopf. Ich war tief bewegt und sagte nichts, denn ich hatte das Gefühl, als ob jede Bemerkung nach einem solchen Bekenntnis trivial klingen müsse; aber ich nahm seine Hand in die meinige und drückte sie herzlich. Er verstand mich und gab mir dies durch ein leises Nicken und einen Gegendruck zu erkennen. Es verging eine ganze Weile, bis er leise fragte:
„Woher es nur kommt, daß ich Ihnen dies erzählt habe? Ich sehe Sie heut zum erstenmal und werde Sie vielleicht nie wiedersehen. Oder ist es auch eine Gottesfügung, daß ich hier und jetzt mit Ihnen zusammengetroffen bin? Sie sehen, ich, der frühere Gottesleugner, suche jetzt alles auf diesen höheren Willen zurückzuführen. Es ist mir mit einemmal so sonderbar, so weich, so weh um das Herz, doch ist dies ‚Weh’ kein schmerzliches Gefühl. Eine ganz ähnliche Stimmung überkommt einen, wenn im Herbst die Blätter fallen. Wie wird sich das Blatt meines Lebens vom Baume lösen? Leise, leicht und friedlich? Oder wird es abgeknickt, noch ehe die natürliche Zeit gekommen ist?“
Er blickte wie in stiller, unbewußter Sehnsucht das Tal hinab. Von dorther sah ich Intschu tschuna und Winnetou kommen. Sie saßen jetzt auf Pferden und führten dasjenige Klekih-petras ledig neben sich. Wir standen auf, um nach dem Lager zu gehen, wo wir mit beiden zugleich ankamen. Am Wagen lehnte Rattler mit feuerrotem, aufgedunsenem Gesicht und stierte zu uns herüber. Er hatte während der kurzen Zeit so viel getrunken, daß er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter Mensch! Sein Blick war heimtückisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriff schreiten will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben.
Der Häuptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem ziemlich weiten Kreis beisammen.
„Nun, haben meine weißen Brüder sich überlegt, ob sie hierbleiben oder fortgehen wollen?“ fragte Intschu tschuna.
Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete:
„Wenn wir auch fortgehen wollten, so müssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen, welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa Fé senden und anfragen lassen; dann kann ich dir Antwort geben.“
Das war gar nicht so übel ausgedacht, denn bis der Bote zurückkehrte, mußten wir mit unserer Arbeit fertig sein. Der Häuptling aber sagte in bestimmtem Ton:
„So lange warte ich
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