Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
sind wir Brüder; geht ihr nicht, so wird das Kriegsbeil ausgegraben zwischen uns und euch. Ich bin Intschu tschuna, der Häuptling aller Apachen. Ich habe gesprochen. Howgh!“
    Howgh ist ein indianisches Bekräftigungswort und heißt soviel wie Amen, basta, dabei bleibt's, so geschieht's und nicht anders. Er stand auf und Winnetou auch. Sie gingen fort und schritten langsam das Tal hinab, bis sie um eine Biegung verschwanden. Klekih-petra war sitzen geblieben. Der Oberingenieur wendete sich an ihn und bat ihn um guten Rat. Er antwortete:
    „Macht, was Ihr wollt, Sir! Ich bin ganz der Ansicht des Häuptlings. Es geschieht ein großes, fortgesetztes Verbrechen an der roten Rasse. Aber als Weißer weiß ich auch, daß der Indsman sich vergeblich wehrt. Wenn ihr heut von hier fortgeht, werden morgen andere kommen, die euer Werk zu Ende führen. Aber warnen will ich euch. Der Häuptling meint es ernstlich.“
    „Wohin ist er?“
    „Er wird unsere Pferde holen.“
    „Habt ihr denn welche mit?“
    „Natürlich. Wir haben sie versteckt, als wir merkten, daß wir dem Bären nahe seien. Einen Grizzly sucht man doch nicht zu Pferde in seinem Versteck auf.“
    Er stand auch auf und schlenderte fort, jedenfalls um sich weiterem Fragen und Drängen zu entziehen. Ich ging ihm nach und fragte trotzdem:
    „Sir, erlaubt Ihr mir, mit Euch zu gehen? Ich verspreche Euch, nichts zu sagen oder zu tun, was Euch inkommodiert. Es ist nur, weil ich mich so außerordentlich für Intschu tschuna interessiere und natürlich ebenso für Winnetou.“
    Daß auch er selbst mir große Teilnahme einflößte, wollte ich ihm nicht sagen.
    „Ja, kommt ein wenig mit, Sir“, antwortete er. „Ich habe mich von den Weißen und ihrem Treiben zurückgezogen; ich mag nichts mehr von ihnen wissen; aber Ihr habt mir gefallen, und so wollen wir einen Spaziergang miteinander machen. Ihr scheint mir der verständigste von allen diesen Menschen zu sein. Habe ich recht?“
    „Ich bin der jüngste und noch gar nicht smart; werde dies wohl auch nie werden. Das mag mir wohl das Aussehen eines leidlich gutherzigen Menschen geben.“
    „Nicht smart? Dies ist doch jeder Amerikaner mehr oder weniger.“
    „Ich bin kein Amerikaner.“
    „Was denn, wenn Euch die Frage nicht belästigt?“
    „Gar nicht. Ich habe keine Ursache, mein Vaterland, welches ich sehr liebe, zu verheimlichen. Ich bin ein Deutscher.“
    „Ein Deutscher?“ fuhr er mit dem Kopf schnell empor. „Dann heiße ich Sie willkommen, Landsmann! Das war es wohl, was mich gleich zu Ihnen zog. Wir Deutschen sind eigentümliche Menschen. Unsere Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, daß wir Angehörige eines Volkes sind – wenn es doch nun endlich einmal ein einiges Volk werden wollte! Ein Deutscher, der ein vollständiger Apache geworden ist! Kommt Ihnen das nicht außerordentlich vor?“
    „Außerordentlich nicht. Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche.“
    „Gottes Wege! Warum sprechen Sie von Gott und nicht von der Vorsehung, dem Schicksal, dem Fatum, dem Kismet?“
    „Weil ich ein Christ bin und mir meinen Gott nicht nehmen lasse.“
    „Recht so; Sie sind ein glücklicher Mensch! Ja, Sie haben recht: Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche. Die größten Wunder sind die Folgen natürlicher Gesetze, und die alltäglichsten Naturerscheinungen sind große Wunder. Ein Deutscher, ein Studierter, ein namhafter Gelehrter, und nun ein richtiger Apache; das scheint wunderbar; aber der Weg, der mich zu diesem Ziel geführt hat, ist ein sehr natürlicher.“
    Hatte er mich erst halb widerwillig mit sich genommen, so freute er sich jetzt, sich aussprechen zu können. Ich merkte sehr bald, daß er ein bedeutender Charakter war, hütete mich aber, irgendeine, wenn auch noch so leise Frage nach seiner Vergangenheit zu tun. Er legte sich diese Rücksicht nicht auf und erkundigte sich ganz wacker nach meinen Verhältnissen. Ich antwortete ihm so ausführlich, wie es ihm lieb zu sein schien. Wir hatten uns gar nicht weit vom Lager entfernt und uns unter einen Baum gelegt. Ich konnte sein Gesicht, sein Mienenspiel genau beobachten. Das Leben hatte tiefe Runen in dasselbe eingegraben, die langen Grundstriche des Grames, die durchquerenden Gedankenstriche des Zweifels, die Zickzacklinien der Not, der Sorge und Entbehrung. Wie oft mochte sein Auge düster, drohend, zornig, ängstlich, vielleicht auch verzweifelt geblickt

Weitere Kostenlose Bücher