01 - Winnetou I
heut schon über die Tatzen machen, damit wir sie genossen haben, wenn wir von den Roten ausgelöscht werden. Habt Ihr etwas dagegen, Sir?“
„Nein.“
„Well, so mag das schöne Werk beginnen; der Appetit ist da, wenn ich mich nicht irre.“
Er löste die Tatzen von den Beinen und zerlegte sie dann in so viele Teile, wie Personen da waren. Ich bekam das beste Stück eines Vorderfußes, wickelte es ein und legte es beiseite, während die anderen sich beeilten, ihre Portionen an das Feuer zu bringen. Ich hatte zwar Hunger, aber keinen Appetit, so widersprechend dies auch klingen mag. Infolge des langen, anstrengenden Rittes fühlte ich wohl das Bedürfnis, Speise zu mir zu nehmen, aber es war mir unmöglich, zu essen. Ich konnte die Mordszene noch immer nicht verwinden. Ich sah mich mit Klekih-petra zusammensitzen; ich hörte seine Bekenntnisse, welche mir jetzt wie eine letzte Beichte vorkamen, und mußte immer wieder an seine Schlußworte denken, die wie die Vorahnung seines nahen Todes geklungen hatten. Ja, das Blatt seines Lebens war nicht leicht und leise abgefallen, sondern mit Gewalt abgerissen worden, und zwar von was für einem Menschen, aus was für einem Grunde und in was für einer Weise! Dort lag der Mörder, noch immer sinnlos betrunken. Ich hätte ihn niederschießen mögen, aber es ekelte mich vor ihm. Dieses Gefühl des Ekels war jedenfalls auch der Grund gewesen, daß die beiden Apachen ihn nicht auf der Stelle bestraft hatten. „Feuerwasser!“ hatte Intschu tschuna im allerverächtlichsten Ton gesagt; welche Anklagen, welche Vorwürfe lagen in diesem einen Wort!
Wenn mich etwas über den blutigen Vorgang beruhigen konnte, so war es der Umstand, daß Klekih-petra am Herzen Winnetous gestorben war, daß sein Herz die für Winnetou bestimmte Kugel aufgefangen hatte; dies war ja sein letzter Wunsch gewesen. Aber die Bitte an mich, zu Winnetou zu halten und das begonnene Werk zu vollenden? Warum hatte er sich an mich gerichtet? Noch vor wenigen Minuten hatte er gemeint, daß wir uns wohl nicht wiedersehen würden, also daß mein Lebensweg wohl kein mich zu den Apachen führender sei, und nun erteilte er mir plötzlich eine Aufgabe, deren Lösung mich mit diesem Stamm in innige Beziehung bringen mußte. War dieser Wunsch ein zufälliges, leeres, weggeworfenes Wort? Oder ist es dem Sterbenden vergönnt, wenn er von seinen Lieben scheidet, im letzten Augenblick, wenn die eine Schwinge seiner Seele bereits im Jenseits schlägt, einen Blick in ihre Zukunft zu werfen? Fast scheint es so, denn es wurde mir später möglich, seine Bitte zu erfüllen, obgleich es jetzt den Anschein hatte, als ob eine Begegnung mit Winnetou mir nur Verderben bringen könne.
Warum hatte ich dem Sterbenden überhaupt mein Versprechen so schnell gegeben? Aus Mitleid? Ja, wahrscheinlich. Aber es war wohl noch ein anderer Grund vorhanden, wenn ich mir seiner auch nicht bewußt gewesen war: Winnetou hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, einen Eindruck, wie ich ihn noch bei keinem anderen Menschen empfunden hatte. Er war grad so jung wie ich, und doch wie mir so überlegen! Das hatte ich gleich beim ersten Blick herausgefühlt. Die ernste, stolze Klarheit seines sammetweichen Auges, die ruhige Sicherheit seiner Haltung und jeder seiner Bewegungen und der wehmütige Hauch eines tiefen und verschwiegenen Grames, den ich auf seinem jugendlichen, schönen Gesicht zu entdecken glaubte, hatten mir es sofort angetan. Wie achtunggebietend war sein und seines Vaters Verhalten gewesen! Andere Menschen, mochten es nun Weiße oder Rote sein, hätten sich sofort auf den Mörder gestürzt und ihn getötet; diese beiden hatten ihn nicht eines Blickes gewürdigt und das, was in ihnen vorging, nicht durch die leiseste Bewegung eines Gesichtsmuskels verraten. Was für Leute waren doch wir dagegen! So saß ich, während die anderen sich ihr Fleisch schmecken ließen, still am Feuer und grübelte in mich hinein, bis Sam Hawkens mich aus meinem Sinnen weckte:
„Was ist's mit Euch, Sir? Habt Ihr keinen Hunger?“
„Ich esse nicht.“
„So? Und haltet lieber Denkübungen! Ich sage Euch, daß Ihr Euch das nicht angewöhnen dürft. Auch mich ärgert das, was vorgekommen ist, gewaltig, aber der Westmann muß sich an solche Auftritte gewöhnen. Man nennt den Westen nicht umsonst die ‚dark and bloody grounds’, die finstern und blutigen Gründe. Ihr könnt es glauben, daß hier der Boden auf jedem Schritt, den Ihr darauf tut, mit Blut
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