01 - Winnetou I
nicht. Meine weißen Brüder müssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.“
Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefüllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge:
„Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.“
Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Gebärde zurück.
„Was, du willst keinen Drink mit mir tun? Das ist eine verdammte Beleidigung. Hier hast du den Brandy ins Gesicht, verfluchte Rothaut, lecke ihn dir ab, da du ihn nicht trinken willst!“
Ehe es einer von uns zu verhindern vermochte, schleuderte er dem jungen Apachen den Becher nebst Inhalt in das Gesicht. Das war nach indianischen Begriffen eine todeswürdige Beleidigung, welche auch sofort, wenn auch nicht so streng, bestraft wurde, denn Winnetou schlug dem Frevler die Faust in das Gesicht, daß er zu Boden stürzte. Er raffte sich mühsam wieder auf. Schon machte ich mich zum Einschreiten gefaßt, denn ich glaubte, er werde zu Tätlichkeiten schreiten; dies geschah aber nicht; er starrte den jungen Apachen nur drohend an und wankte dann fluchend wieder nach dem Wagen zurück.
Winnetou trocknete sich ab und zeigte, grad wie sein Vater, eine starre, unbewegte Miene, der man nicht ansehen konnte, was im Innern vorging.
„Ich frage noch einmal“, sagte der Häuptling; „dies ist das letzte Mal. Werden die Bleichgesichter noch heut dieses Tal verlassen?“
„Wir dürfen nicht“, lautete die Antwort.
„So verlassen aber wir es. Es ist kein Friede zwischen uns.“
Ich machte noch einen Versuch der Vermittlung, doch vergeblich; die drei gingen zu ihren Pferden. Da erscholl vom Wagen her Rattlers Stimme:
„Immer fort mit euch, ihr roten Hunde! Aber den Hieb ins Gesicht soll mir der Junge sofort bezahlen!“
Zehnmal schneller, als man es ihm bei seinem Zustand zutrauen konnte, hatte er ein Gewehr aus dem Wagen genommen und schlug es auf Winnetou an. Dieser stand in diesem Augenblick frei und ohne Deckung; die Kugel mußte ihn treffen, denn es geschah alles so schnell, daß ihn keine Bewegung retten konnte. Da schrie Klekih-petra voller Angst auf:
„Weg, Winnetou, schnell weg!“
Zu gleicher Zeit sprang er hin, um sich schützend vor den jungen Apachen zu stellen. Der Schuß krachte; Klekih-petra fuhr sich, von der Gewalt des Kugelaufschlages halb umgedreht, mit der Hand nach der Brust, taumelte einige Augenblicke hin und her und fiel dann auf die Erde nieder. In diesem Augenblick stürzte aber auch Rattler, von meiner Faust getroffen, zu Boden. Ich war, um den Schuß zu verhüten, rasch zu ihm hingesprungen, aber doch zu spät gekommen. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war erschollen; nur die beiden Apachen hatten keinen Laut von sich gegeben. Sie knieten bei ihrem Freunde, der sich für seinen Liebling aufgeopfert hatte, und untersuchten stumm seine Wunde. Er war ganz nah am Herzen in die Brust getroffen; das Blut schoß mit Gewalt hervor. Ich eilte auch hinzu. Klekih-petra hielt die Augen geschlossen; sein Gesicht wurde mit rapider Schnelligkeit bleich und hohl.
„Nimm seinen Kopf in deinen Schoß“, bat ich Winnetou. „Wenn er das Auge öffnet und dich erblickt, wird sein Tod ein froher sein.“
Er kam dieser Anforderung nach, ohne ein Wort zu sagen; keine seiner Wimpern zuckte; aber sein Blick hing unverwandt an dem Angesicht des Sterbenden. Da öffnete dieser langsam die Lider; er sah Winnetou über sich gebeugt; ein seliges Lächeln glitt über seine so schnell eingefallenen Züge, und er flüsterte:
„Winnetou, schi ya Winnetou – Winnetou, o mein Sohn Winnetou!“
Dann schien es, als ob sein brechendes Auge noch jemanden suche. Es traf mich, und in deutscher Sprache bat er mich:
„Bleiben Sie bei ihm – ihm treu – – – mein Werk fortführen – – –!“
Er hob bittend die Hand; ich nahm sie in die meinige und antwortete:
„Ich tue es; ja, sicher, ich werde es tun!“
Da nahm sein Gesicht einen fast überirdischen Ausdruck an, und er betete mit immer mehr ersterbender Stimme:
„Da fällt mein Blatt – – – abgeknickt – – – nicht leise – leicht – – – es ist – – – die letzte Sühne – – – ich sterbe wie – – – wie ich es – – – gewünscht. Herrgott, vergib – – –
Weitere Kostenlose Bücher