01 - Winnetou I
wird ihm aber zurückkehren. Warte so lange, indem du dich bei uns niedersetzt. Wenn der Häuptling zu sich gekommen ist und wieder sprechen kann, werden wir uns mit euch beraten. Aber sobald einer der Kiowas eine Waffe gegen uns erhebt, fährt das Messer Old Shatterhands in Tanguas Herz; darauf kannst du dich verlassen.“
„Wie dürft ihr die Hand gegen uns erheben, die wir eure Freunde sind!“
„Freunde? Da glaubst du wohl selber das nicht, was du sagst!“
„Ich glaube es. Haben wir nicht die Pfeife des Friedens mit euch geraucht?“
„Ja, aber diesem Frieden ist nicht recht zu trauen.“
„Warum?“
„Ist es Sitte der Kiowas, ihre Freunde und Brüder zu beleidigen?“
„Nein.“
„Nun, euer Häuptling hat Old Shatterhand beleidigt, folglich dürfen wir euch nicht als Brüder betrachten. Schau, er beginnt, sich zu bewegen!“
Tangua, den Stone und Parker wieder niedergelegt hatten, regte sich allerdings; bald schlug er die Augen auf und sah einen nach dem andern von uns an, als ob er sich auf das, was geschehen war, besinnen müsse; dann schien ihm das Bewußtsein vollständig zurückzukehren, und er rief aus:
„Uff, uff! Old Shatterhand hat mich niedergeschlagen. Wer fesselte mich?“
„Ich“, antwortete ich.
„Man nehme mir die Riemen ab; ich befehle es!“
„Vorhin hörtest du nicht auf meine Bitte; nun höre ich nicht auf deinen Befehl. Du hast uns nichts zu befehlen!“
Seine Augen richteten sich mit einem wütenden Blick auf mich, und er knirschte:
„Schweig, Knabe, sonst zermalme ich dich!“
„Das Schweigen wäre für dich rätlicher als für mich. Du hast mich vorhin beleidigt und wurdest dafür von mir zu Boden geschlagen. Old Shatterhand läßt sich nicht ungestraft eine Kröte und einen weißen Hund nennen. Wenn du nicht höflich wirst, kann es dir noch schlimmer ergehen.“
„Ich verlange, frei zu sein! Wenn du mir nicht gehorchst, werdet ihr von meinen Kriegern von der Erde vertilgt werden!“
„Da würdest du der erste sein, den das Verderben träfe; denn höre, was ich dir sage: Dort stehen deine Leute; wenn ein einziger von ihnen den Fuß erhebt, um sich ohne Erlaubnis uns zu nähern, fährt dir diese Messerklinge in das Herz. Howgh!“
Ich setzte ihm die Messerspitze auf die Brust. Er mußte einsehen, daß er sich in unserer Gewalt befand; er zweifelte wohl auch nicht daran, daß ich gegebenen Falles meine Drohung wahr machen würde; es trat eine Pause ein, während welcher er uns mit seinen wild rollenden Augen verschlingen zu wollen schien; dann gab er sich Mühe, seinen Zorn zu beherrschen, und fragte in ruhigerem Ton:
„Was willst du denn von mir?“
„Nichts anderes als das, um was ich dich vorhin gebeten habe: Die Apachen sollen nicht am Marterpfahl sterben.“
„Ihr verlangt wohl gar, daß sie überhaupt nicht getötet werden sollen?“
„Tut später mit ihnen, was ihr wollt; aber solange wir bei euch und ihnen sind, darf ihnen nichts geschehen.“
Wieder ließ er eine Weile schweigend vorübergehen. Trotz der Kriegsfarben, welche sein Gesicht bedeckten, sah man, daß der Ausdruck verschiedener Empfindungen, Zorn, Haß, Schadenfreude, über dasselbe ging. Ich hatte angenommen, daß das Wortgefecht zwischen ihm und mir ein lang anhaltendes sein werde, und glaubte dies auch jetzt noch; darum wunderte ich mich nicht wenig, als er nun sagte:
„Es soll nach deinem Wunsch geschehen; ja, ich will dir noch mehr als ihn erfüllen, wenn du auf den Vorschlag eingehst, den ich dir machen werde.“
„Welcher Vorschlag ist das?“
„Zuvor muß ich dir sagen, daß du ja nicht denken darfst, ich fürchte mich vor deinem Messer. Du wirst dich hüten, mich zu erstechen, denn wenn du dies tätest, so würdet Ihr in wenigen Minuten von meinen Kriegern in Stücke zerrissen. Ihr mögt noch so tapfer sein, zweihundert Gegner könnt ihr nicht besiegen. Also deine Drohung, mich zu erstechen, verlache ich. Ich könnte ruhig sagen, daß ich dein Verlangen nicht erfülle, und doch würdest du mir nichts tun. Dennoch sollen die Hunde der Apachen nicht am Marterpfahl sterben; ich verspreche dir sogar, daß wir sie überhaupt nicht töten werden, wenn du darauf eingehst, für sie auf Leben und Tod zu kämpfen.“
„Mit wem?“
„Mit einem meiner Krieger, den ich bestimmen werde.“
„Welche Waffe?“
„Nur das Messer. Wenn er dich ersticht, müssen auch die Apachen sterben; erstichst du aber ihn, so bleiben sie leben.“
„Und kommen frei?“
„Ja.“
Ich
Weitere Kostenlose Bücher