010 - Die Todesengel
ja recht rührend, ihre Gäste dagegen ziemlich aufreibend.
Er schaltete das Deckenlicht und dann den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm war eine düster beleuchtete Wohnung zu sehen, in der ein Mann mit dem Rücken zur Kamera vor einem TV-Gerät saß. Dorian fiel sogar auf, daß das TV-Gerät in dem Fernsehstück dasselbe Modell war wie seines; er nahm es jedoch nur unbewußt wahr.
Er ging zur Bar, wo das Schnapsfläschchen der Schwestern einsam zwischen den Gläsern stand, schraubte es auf und setzte es an den Mund; es fielen aber nur einige Tropfen auf seine Lippen. Dabei hätte er jetzt einen Drink verdammt nötig gehabt.
Deshalb ging er zur Gegensprechanlage, schaltete sie ein und sagte ins Mikrophon: »Eine Flasche Bourbon – mit Eis!«
Das war natürlich nur ein Scherz, und er hoffte, wenigstens den Pfleger, der Bereitschaftsdienst hatte, zu einer Entgegnung zu reizen, ihn vielleicht sogar in ein Gespräch zu verwickeln. Aber er bekam keine Antwort.
»He!« rief er ins Mikrophon.
Es meldete sich niemand.
Dorian wandte sich seufzend ab. Er kam fast um vor Langeweile. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Deborah zu überreden, noch auf einen Sprung zu ihm zu kommen. Nur so, um ein wenig zu plaudern. Mehr wollte er nicht von ihr – zumindest nicht unter diesen Umständen.
Ein Blick auf den Bildschirm ließ ihn ahnen, daß es sich um eines der üblichen faden Fernsehstücke handelte: kein besonderer Aufwand, keine gute Kameraführung, kein Szenenwechsel. Der Mann saß noch immer mit dem Rücken zur Fernsehkamera und starrte auf sein TV-Gerät, auf dem sich folgende Szene abspielte: Ein Mann saß mit dem Rücken zum Betrachter und starrte auf ein Fernsehgerät.
Der Wunsch nach einem scharfen Drink war in Dorian inzwischen zu einem unstillbaren Verlangen geworden. Er überlegte, ob es zu aufdringlich sein würde, den Schwestern noch einen Besuch abzustatten und sie um einen Schnaps zu bitten. Sie hatten bestimmt noch welchen in Reserve, denn sie hatten Owen Grovers noch einen Schlummertrunk angeboten.
Kurz entschlossen schlüpfte Dorian in seinen Mantel, denn es war draußen schon empfindlich kühl geworden, und verließ seinen Bungalow. Auf dem Weg zu den Schwestern sah er, daß die meisten anderen Patienten das Licht bereits gelöscht hatten. Nur hinter Deborah Ashtons Fenster war es noch hell. Auch in den beiden Bungalows der Schwestern war es bereits dunkel. Dorian klopfte dennoch an ihre Tür. Er wartete danach einige Sekunden und klopfte dann wieder. Drinnen rührte sich nichts. Er hob die Hand, um nochmals Klopfzeichen zu geben, doch dann überlegte er es sich anders. Wahrscheinlich waren die Schwestern bereits zu Bett gegangen; da wollte er sie lieber nicht in ihrer Nachtruhe stören.
Dorian ging zurück zu seinem Bungalow, schloß die Tür hinter sich ab und hängte den Mantel in die Diele. Als er ins Wohnzimmer kam, stellte er mit einem Blick fest, daß auf dem Bildschirm des Fernsehers immer noch dieselbe Szene zu sehen war.
Das war allerhand! Und plötzlich stutzte er. Irgend etwas kam ihm an der Szenerie seltsam vor. Und während er noch auf den Bildschirm starrte, schien endlich etwas Bewegung in den Krimi zu kommen. Hinter dem Mann bewegte sich etwas; und dann schob sich langsam eine Gestalt ins Blickfeld.
Dorian konzentrierte sich: Was war seltsam an der Szenerie? Da war der Fernseher, dasselbe Modell wie sein Gerät. Und die Einrichtung. Jawohl, das war es! Das Zimmer in dem Fernsehkrimi hatte dieselbe Einrichtung wie sein Wohnraum.
Dorian hielt unwillkürlich den Atem an, als sich die dunkle Gestalt dem ahnungslosen Mann näherte. Jetzt schien der Mann ein Geräusch gehört zu haben, denn er zuckte zusammen.
Der Vermummte in seinem Rücken war bis auf zwei Schritte herangekommen und hob jetzt einen Arm. In seiner Hand lag ein gut dreißig Zentimeter langes Stilett. Da drehte sich der Bedrohte um. Dorian konnte sein Gesicht sehen. Es gehörte John Storm. Dorian hätte die Hakennase unter Dutzenden erkannt.
Storms Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sich der blanke Stahl auf ihn niedersenkte. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch es war nichts zu hören, weil der Fernseher ohne Ton lief; das war doppelt unheimlich. Storm hielt die Hände abwehrend vors Gesicht, doch das Messer bohrte sich durch sie hindurch in seinen Hals.
Dorian wartete die weiteren Geschehnisse nicht mehr ab. Er drehte mit fliegenden Fingern den Schlüssel im Schloß herum, riß die Tür auf und
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