0107 - Die Hand des Hexers
Wand.
Das alles war Wahnsinn. Das Mädchen hielt sich für verrückt. Sie redete sich ein, daß ihr Geist krank geworden war und ihr das alles nun vorgaukelte. Wie sonst hätte sich dieser Irrsinn erklären lassen? Die Begegnung mit jener schrecklichen Teufelsfratze, die sie aus dem Haus getrieben hatte, genau vor die Peitsche des Hexenjägers. Hyram Bell, der Unheimliche im purpurroten Gewand!
Alles Einbildung?
Alles Halluzination?
Alles ein Produkt einer kranken Phantasie?
Der Dimensionensprung. Dieser Kerker… Bildete sie sich das alles nur ein?
Flo Danning begab sich mit schleppenden Schritten zur Gittertür. Die Eisenstäbe existierten. Flo konnte sie anfassen. Sie waren kein Trugbild.
Sie rüttelte an den Stäben. »Hallo!« rief sie zaghaft. »Hallo, ist da jemand?« Ihre Rufe verhallten ungehört. Niemand kam, um nach ihr zu sehen. Niemand kümmerte sich um sie. Sie war allein. Allein mit ihrer bohrenden Angst, die sich schmerzhaft durch ihre Brust wühlte. Tränen quollen aus ihren Augen. Schluchzend sank sie auf das Stroh nieder. »Warum?« fragte sie sich fassungslos. »Warum geschieht das alles? Ich bin keine Hexe. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts Böses getan. Ich habe die christlichen Gebote befolgt. Wieso bin ich plötzlich die Gefangene Hyram Beils - des Hexenjägers?«
Schwere Stiefel hämmerten auf einmal auf den harten Boden.
Zwei muskulöse Männer mit nacktem Oberkörper erreichten die Gittertür.
»Flo Danning, bist du bereit?«
»Bereit? Bereit wofür?« fragte das verstörte Mädchen furchtvoll.
»Man wird dich nun der gütlichen Befragung unterziehen.«
»Ein Verhör? Man will mich verhören? Aber… aber wieso denn?«
Die Männer schlossen die Tür auf und traten ein. Sie nahmen Flo in ihre Mitte. Das Mädchen sträubte sich, mit ihnen zu kommen. Da packten sie hart zu und schleiften sie aus der Zelle.
Flo schrie und kreischte: »Laßt mich los! Ich will nicht! Laßt mich! Ich will nicht verhört werden! Ich habe nichts verbrochen!«
Die Schergen beachteten das Geschrei des Mädchens nicht. Eisenhart war ihr Griff, dem sich Flo Danning nicht entwinden konnte. Sie bäumte sich heulend auf. Sie versuchte, nach den Männern zu treten, doch die Kerle machten ihre Arbeit nicht zum erstenmal und wußten, mit welchem Griff sie sich das Mädchen gefügig machen konnten.
Sie schleppten Flo Danning in eine geräumige Folterkammer.
An den Wänden blakten Fackeln.
Männern in schwarzen Kutten saßen auf rohgezimmerten Holzstühlen. In einer großen Feuerschale prasselten rote Flammen, tanzten auf und ab und versuchten, ab und zu mit langen Zungen über die rußgeschwärzte Decke zu lecken.
Als Flo Danning der zahlreichen Folterinstrumente ansichtig wurde, stieß sie einen grellen Schrei aus. »Nein!« brüllte sie aus Leibeskräften. »Ich beschwöre euch, tut mir das nicht an…«
Die Schergen ließen nicht zu, daß sie sich losriß.
Ein hochgewachsener, sehniger Mann trat auf sie zu. Er hob die Hände und nahm die Kapuze vom Kopf. Flo Danning sah dieses Gesicht nicht zum erstenmal. Da war er wieder - Hyram Bell… Doch diesmal trat er nicht als Hexenjäger, sondern als Richter der Inquisition auf.
Ein Schwächeanfall machte Flo schwindlig.
Sie wäre gestürzt, wenn die Schergen sie nicht festgehalten hätten.
Der Richter verzog den schmalen Mund zu einem grausamen Lächeln. »Die Congregatio inquisitionis hat mich ermächtigt, dieses Verfahren gegen dich zu leiten, Flo Danning!«
»Ich habe nichts getan! Ich bin unschuldig! Ich bin zu Unrecht hier!« schluchzte das Mädchen.
Wieder grinste der Richter. »Das behaupten sie am Anfang alle.«
»Ich sage die Wahrheit!«
»Die Wahrheit kommt erfahrungsgemäß erst viel später über die Lippen einer Hexe!«
»Ich bin keine…«
»Es hat keinen Zweck zu leugnen, Flo Danning. Knie nieder und gestehe reumütig, daß du eine Braut des Satans bist!«
Flo schüttelte verzweifelt den Kopf. »Niemals! Das gestehe ich niemals!«
»Du könntest dieses Verfahren dadurch erheblich abkürzen!«
»Ich habe mit dem Teufel nichts zu tun!« schrie Flo aus vollem Halse. Auf ein Zeichen des Richters zwangen die kräftigen Schergen das Mädchen auf die Knie.
»Seht sie euch an!« rief der Inquisitionsrichter sodann mit lauter, dröhnender Stimme. »Seht euch dieses verschlagene, störrische Weibsbild an. Sie ist sehr schön. O ja, das ist sie in der Tat, aber wir dürfen uns von diesem angenehmen Äußeren nicht täuschen lassen,
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