0108 - Das Eisgefängnis
kälter!
Verdammt schnell sogar.
Zu schnell…
Die Kälte kam von überallher. Sie war wie ein schleichendes Gift, das in unsere Adern kriechen wollte. Die Haut verlor ihre Farbe, sie wurde weiß und kalt. Nase, Ohren und Fingerspitzen waren kaum noch zu fühlen. Ich mußte mich bewegen, wenn ich weiterhin am Leben bleiben wollte.
Gio lag auf dem Boden und jammerte. Er heulte sogar. Die Tränen liefen an seinen Wangen herab. Bald würden sie zu Eisperlen gefrieren.
Ich ging zu ihm. »Los, stehen Sie auf, sonst frieren Sie hier am Boden fest!«
»Nein! Hau ab, du Drecksbulle!«
Dem Mann war nicht zu helfen. Trotzdem packte ich ihn an der Schulter.
Er schrie mich an.
Da ließ ich ihn los.
Ich zitterte. Die Kälte war kaum noch auszuhalten. Auf der Wasserfläche im Bottich hatte sich längst eine Eisschicht gebildet.
An den Wänden sah ich den hellen Reif schimmern.
Auch unter der Ecke glitzerten Eiskristalle.
Ich begann zu springen, wollte so meinen Kreislauf stabil halten und versuchen, mich aufzuwärmen.
Es war eine wahre Schinderei.
Meine Muskeln schienen bereits eingefroren zu sein. Die Bewegungen schmerzten.
Ich drehte die Finger, rieb über Nase, Ohren und Kinn, rubbelte, schrubbte und tat alles, um die Kälte und einen grausamen Tod zu besiegen.
Es war unmöglich.
Aufhalten konnte ich mein Ende zwar, aber nicht verhindern. Zudem trug ich nur ein dünnes Hemd, die Jacke lag im Hotelzimmer.
Ich begann zu laufen.
Zuerst auf der Stelle, dann immer um den Bottich herum. Ich mußte dies tun, um meinen Kreislauf stabil zu halten. Kippte er um, war es auch mit mir vorbei.
Gio hatte sich aufgerichtet. Er schaute mir nach und zitterte erbarmungswürdig. Dieser Mann hatte kaum noch Kraft. Auch jetzt brach er wieder zusammen.
Ich unterbrach meinen Lauf und blieb neben ihm stehen. »Komm endlich hoch!« schrie ich ihn an. »Reiß dich doch zusammen!« Ich streckte meinen Arm aus und wollte ihn hochhieven.
Er aber kreischte. »Nein, es hat keinen Zweck mehr. Wir krepieren beide. Die Kälte frißt uns. Hätte ich dich doch umgelegt!«
Wieder heulte er.
Ich blickte in sein Gesicht und sah, daß seine Tränen in der Tat gefroren waren.
Aber er wollte nicht.
Sterben lassen konnte ich ihn auch nicht. Er war ein Mensch. Ich griff zur Radikalkur. Zweimal schlug ich mit der flachen Hand in sein Gesicht.
Er schrie.
»Wirst du endlich vernünftig!« herrschte ich ihn an.
Er wurde es, jedoch auf seine Weise.
Woher er die Kraft nahm, wußte ich auch nicht. Plötzlich schnellte sein Arm vor. Und er wollte mir eine Waffe entreißen.
Fast hätte er es geschafft. Im letzten Augenblick schlug ich auf sein Gelenk, und er ließ die Waffe los.
Heulend sackte Gio zusammen.
»Dir ist wirklich nicht zu helfen!« keuchte ich und trat zwei Schritte zurück.
Mir war klar, daß Dr. Tod uns beobachtete. Sollte er nur, noch sah er mich nicht winseln, und er würde mich auch so leicht nicht zu Kreuze kriechen sehen.
Ich lief weiter.
Runde um Runde drehte ich.
Und die Kälte nahm zu.
Aus dem ersten Rauhreif an den Wänden waren schon Kristalle geworden. Ich wagte kaum noch, einen Blick auf den Bottich zu werfen, denn aus der gefrorenen Oberfläche schaute eine Hand.
Es war ein makaberes Bild.
Die Zeit verging.
Und es kam auch der Punkt, an dem das Laufen nichts mehr nutzte. Die schleichende Kälte war einfach stärker. Sie lähmte die Gefühle, stoppte sogar die Gedanken, und mich überkam eine gewaltige Müdigkeit.
Schlafen – am liebsten hätte ich geschlafen.
Das waren bereits die ersten Zeichen einer Lethargie, die dem Tod vorausging. Ich mobilisierte alle Kräfte, spornte meinen Willen an, rieb mein Gesicht und merkte mit Erschrecken, daß dies auch nichts mehr nutzte. Zu weit hatte sich die Kälte vorgefressen.
Ich blieb in Bewegung.
Aber wie langsam.
Manchmal bekam ich meine Beine nicht mehr hoch. In meinen Haaren klebten Eiskristalle. Sie knirschten zwischen den Fingern, als ich durch den Schopf fuhr.
Auch die Augenbrauen waren verkrustet. Ebenso die Nasenlöcher. Einen Mundschutz hatte ich nicht. Wann würde mir die Kälte die Lunge zerbeißen?
Dr. Tod mußte es eine diebische Freude bereiten, mich zu sehen.
Wie meine Bewegungen immer schwächer wurden, die Lethargie dafür um so stärker.
Wann kam das Aus?
Kaum gehorchten mir meine Beine. Ich stolperte voran. Die beiden Waffen klirrten zu Boden. Ich wagte jetzt nicht mehr, das Metall anzufassen, meine Hände wären unter Umständen kleben
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