0109 - Verlies der Angst
Kommissar.
»Weiß ich doch nicht.«
»Im Kofferraum!«
Ich riß die Augen auf und produzierte ein glucksendes Geräusch.
Dann fragte ich: »Verhört habe ich mich doch nicht, oder?«
»Nein.«
»Also deshalb durften wir das Gepäck nicht hineinstellen.«
»Richtig, wo hätte ich ihn denn lassen sollen?« fragte er. »Im Gasthaus des Dorfs, in dem ich wohne? Oder bei der Feuerwehr?«
»Nein, nein, es macht dir ja keiner einen Vorwurf«, sagte ich und schlug ihm auf die Schulter.
»Wir müssen sowieso vorsichtig sein, damit die Bewohner des Ortes nichts merken«, sagte der Kommissar. »Sie sind sehr abergläubisch, habe ich mir sagen lassen, und es kann schnell zu einer Panik kommen.«
»Hast du denn schon einen Plan?« fragte ich den Kommissar.
»Ja, ich meine, wir sollten uns sofort diese Hügelgräber anschauen. Das ist am besten.«
»Nur anschauen?« fragte Suko.
»Nein, auch hineingehen.«
Ich wandte mich an den Kommissar. »Du rechnest also damit, in den Hügelgräbern auf einen Rest Schwarzer Magie zu treffen.«
»Nicht nur auf einen Rest, sondern auf konzentrierte Schwarze Magie. Ich habe ein ungutes Gefühl, Freunde.«
»Wer da begraben ist, weißt du nicht?«
Will schüttelte den Kopf. »Aber das wird uns dieser Heimatforscher erklären.«
Der Kommissar war die letzte Zeit auf der rechten Seite gefahren, jetzt zog er den Manta wieder nach links. Wie ein Brett lag der Wagen auf der Straße. Will überholte einen Granada und hörte plötzlich, genau wie wir, das Pfeifen.
Suko drehte sich um. »Verdammt«, sagte der, »der Kofferraum ist offen!«
Sofort warf ich einen Blick zurück. Ich schaute durch die Heckscheibe. Suko hatte nicht gelogen. Der Deckel war tatsächlich hochgeschwungen.
Will Mallmann konnte jetzt nicht rechts ran, weil er eine Lastwagenschlange überholte.
»Wer hat den verdammten Deckel hochgeklappt?« fluchte Will Mallmann.
»Ich nicht«, erwiderte Suko.
Da kam eigentlich nur eine Person in Frage.
Die verbrannte Leiche.
Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als ich das mumienhafte Geschöpf auch schon sah. Wie ein Geist kletterte es aus dem Kofferraum, schwang sich geschickt auf den Deckel und drückte ihn zurück.
Dann hing das Monster an der Heckscheibe.
Ich sah die Fratze, die Pergamenthaut, die so verbrannt wirkte, und die toten Augen.
Will Mallmann fuhr noch immer links. »Fahr du weiter!« rief ich ihm zu. Ich zuckte zusammen, als das Monster den Arm hob und mit einem Schlag die Heckscheibe zertrümmerte…
***
Das laute Kindergeschrei hallte durch den hellen Klassenraum. Seit zwei Jahren besaß der Ort eine neue Schule, ein modernes Gebäude, in dem alle Klassen der Grundstufe ihren Platz fanden.
An diesem Tag waren die ersten drei Schuljahre zusammengefaßt. Nach der dritten Stunde sollte es in den Wald gehen. Die beiden Lehrpersonen wollten den Kindern die Pflanzen der Heimat zeigen und somit einen Naturkundeunterricht im Freien abhalten.
Das Wetter war ideal.
Strahlender Sonnenschein. Das Land glänzte wie frisch gewaschen. In den Gärten blühten die Obstbäume in farbiger Pracht.
Die Laune der Menschen war besser geworden.
Und auch die Kinder freuten sich.
Die etwas älteren – vor allen Dingen die Jungen – gingen über Tische und Bänke. Die Kinder aus dem ersten Schuljahr saßen verschüchtert in der Ecke und schauten zu, wie sich ihre Kameraden prügelten.
Zwei Jungen lagen sogar unter dem Tisch.
Ein kleiner Blondschopf hielt Wache. Er stand an der Tür und peilte um die Ecke in den breiten Gang mit den hohen, lichterfüllten Fenstern. Wenn der Lehrer kam, würde er Bescheid sagen.
Noch war von ihm nichts zu sehen, dann aber wurde die Tür zum Lehrerzimmer aufgezogen und Rolf Hartmann erschien.
Der Blondschopf wetzte in die Klasse. »Er kommt! Er kommt!«
Blitzschnell lösten sich die beiden Kämpfer. Andere sprangen über Tische und Stühle, um zu ihren Plätzen zu gelangen. In Sekundenschnelle saßen die Kinder ruhig da, als könnte keines ein Wässerchen trüben.
Rolf Hartmann schmunzelte, als er das Klassenzimmer betrat. Er kannte seine Pappenheimer, zudem war er früher nicht anders gewesen. Und so lange lag seine Schulzeit nicht zurück.
Rolf Hartmann war 28 Jahre alt, stand seit zwei Jahren im Schuldienst, stammte aus Lüneburg und fühlte sich im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen auf dem Lande recht wohl. Gerade die Heidelandschaft hatte es ihm angetan. Für ihn gab es keinen schöneren Platz auf der Welt.
Er war
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