013 - Der Mann, der alles wußte
in das Krankenauto gebracht wurde. Die Leute sahen dem weißen Wagen nach, bis er verschwand, dann zerstreuten sie sich allmählich.
Polizist Wiseman verabschiedete sich von seinem Kollegen und trat dann etwas verlegen zu Frank.
»Sie sind doch der Neffe von Mr. Minute?« fragte er.
»Ja, ganz recht.«
»Ich habe Sie öfter im Hause Ihres Onkels getroffen.«
»Wie heißt denn Ihr Onkel?« mischte sich der kleine Mann mit verblüffender Selbstverständlichkeit wieder in die Unterhaltung. Er schien es als sein gutes Recht zu betrachten, die Leute nach seinem Gutdünken auszufragen.
Frank Merril lachte.
»Mr. John Minute. Vielleicht kennen Sie den auch?«
»O ja. Mr. Minute gehört zu den ersten, die in Rhodesien eine Konzession erhielten und durch den Verkauf von Schürfrechten auf den Goldfeldern ein Vermögen erwarben. Es stellte sich dann später heraus, daß sie keinen besonderen Wert hatten. 1911 klagte man ihn in Salisbury wegen der Ermordung zweier Mashona-Häuptlinge an, er wurde aber freigesprochen. Während einer Hausse hatte er wieder große pekuniäre Erfolge. Vor einiger Zeit kam er nach England zurück und kaufte ein Landgut zwischen Polegate und Eastbourne. Er hat einen Neffen, der einmal sein Vermögen erben wird. Ein gewisser Frank Merril, Sohn des verstorbenen Dr. Henry Merril. Der junge Mann ist bei der Western-Counties-Bank in London tätig. Er -«
Frank sah ihn bestürzt und verwirrt an.
»Woher kennen Sie denn meinen Onkel?«
»Ich bin ihm noch nie in meinem Leben begegnet«, erwiderte der kleine Mann kurz und nahm den Zylinder ab. »Guten Abend«, grüßte er dann und ging schnell davon.
Der uniformierte Polizist schaute Frank würdevoll an.
»Kennen Sie diesen Herrn?« wandte sich Mr. Merril an ihn.
Der Beamte lächelte.
»Natürlich. Das ist Mr. Mann! In Scotland Yard heißt er nur der Mann, der alles weiß!«
»Also ein Kriminalbeamter?«
Der Polizist schüttelte den Kopf.
»Das nicht, aber soviel ich davon verstehe, hilft er dem Polizeipräsidenten und der Regierung öfters bei der Aufklärung schwieriger Fälle. Wir haben strikten Befehl, ihn niemals zu behindern und ihm keine Nachricht vorzuenthalten, wenn er danach fragt.«
»Der Mann, der alles weiß...«, wiederholte Frank und runzelte die Stirn. »Wirklich, eine merkwürdige Persönlichkeit! Was weiß er denn eigentlich?«
»Eben alles«, erklärte der Beamte kurz und bündig.
Ein paar Minuten später waren Frank und seine Begleiterin wieder auf dem Weg nach Holborn.
»Du scheinst sehr deprimiert zu sein«, sagte May.
»Ich muß immer noch an diesen Mr. Mann denken. Das ist ja geradezu phantastisch! Ich möchte nur wissen, woher er die Vergangenheit meines Onkels kennt.« Aber dann zuckte er die Schultern. »Es ist leider kein besonders vergnügter Abend für dich. Ich habe dich nicht ausgeführt, damit du Zeugin von Unglücksfällen sein solltest.«
»Frank«, rief sie plötzlich, »das Gesicht des Mannes, der auf der Straße lag, kam mir so bekannt vor -«
Sie schauderte und brach ab.
»Ich hatte auch den Eindruck, daß ich ihn kennen müßte«, entgegnete er nachdenklich.
»Ist er nicht ungefähr zwanzig Minuten vorher an uns vorbeigekommen?«
»Das ist möglich, ich besinne mich allerdings nicht darauf.
Meine Erinnerung geht weiter zurück. Wo kann ich ihn nur gesehen haben?«
»Wir wollen über etwas anderes sprechen«, erwiderte sie schnell. »Ich habe auch nicht mehr viel Zeit. Was soll ich denn nun mit deinem Onkel machen?«
Er lachte.
»Ich weiß selbst kaum, was ich dir vorschlagen könnte. Ich habe ihn sehr gern, und es tut mir leid, wenn ich seinen Wünschen zuwiderhandeln muß. Aber ich kann ihm unter keinen Umständen gestatten, daß er sich in meine Liebesangelegenheiten einmischt. Ich wünschte, du hättest ihn niemals getroffen.«
»Das hat aber doch gar keinen Zweck, Frank. Du weißt ganz genau, daß ich ihn schon kannte, bevor ich dich traf. Wenn dein Onkel nicht gewesen wäre, hätten wir uns niemals kennengelernt.«
»Erzähle mir noch einmal, was wirklich passiert ist«, sagte er und sah nach der Uhr. »Wir müssen aber zum Victoria-Bahnhof fahren, damit ich meinen Zug erreiche.«
Er rief ein Taxi an, und auf dem Weg zum Bahnhof berichtete sie ihm, was vorgefallen war.
»Er war, wie immer, sehr nett zu mir und sagte wirklich nichts Schlechtes über dich. Nur hält er dich nicht für den richtigen Mann für mich, und deshalb soll ich dich nicht heiraten. Auf der anderen Seite
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