0133 - Der Mumienfürst
ging nicht. Nach wie vor bannte eine geheimnisvolle Kraft sie an die Stelle, wo sie nun schon seit geraumer Zeit stand.
Und plötzlich konnte sie nicht einmal mehr denken. Sie stand einfach da, wie eine Statue, starr, unbeweglich, mit offenen Augen, die nichts sahen. Mit einem halbgeöffneten Mund, aus dem kein Ton kam.
Erst als es erneut hell wurde, als sich ihre schlanke Gestalt aus der Dunkelheit schälte, nahm sie wieder wahr, was vor ihr geschah.
Die sechs Mumien kamen zurück, teilten sich. Drei hielten zu ihrer rechten, die anderen zu ihrer linken Seite.
Einer dieser unheimlichen Reiter, die jetzt von grünlichem Schimmer umgeben waren, streckte ihr die vertrocknete Rechte entgegen. Sein schmallippiger Mund öffnete sich, der Blick der glühenden Augen richtete sich in die ihren.
»Komm! Zu Pachcuti, dem großen Priester! Er wartet auf dich!«
Ohne zu zögern ergriff Inez die ausgestreckte Hand und ließ sich auf das Pferd ziehen. Das Licht erlosch, es wurde so dunkel, als hätte es den Mond über den Kordilleren nicht gegeben. Aber er stand in seiner ganzen Pracht am blauen Nachthimmel.
Die sechs Mumien ritten mit Inez zu dem Höhleneingang. Um sie herum war es dunkel, für einen heimlichen Beobachter mußte es so aussehen, als schwebte eine dunkle Wolke durch die Berge. Das phosphoreszierende Leuchten der Mumien und das Glühen ihrer Augen waren erloschen.
Als Inez Ruiz wieder zu sich kam und denken konnte, befand sie sich in einem fensterlosen Raum, dessen Wände mit rotem Stoff bespannt waren, der Sonnen-Embleme aufwies.
Sie lag auf einem Holzbett und schwellenden Kissen. Auf einem kleinen Tisch entdeckte sie frisches Obst und seltsames Gebäck. Es hatte die Form von Pumas, Jaguaren und Schlangen.
O mein Gott, dachte sie, was ist mit mir geschehen? Ich habe die reitenden Mumien gesehen! Was wird nun aus mir? Wo bin ich?
Der sie jäh überfallende Schlaf raubte ihr die Möglichkeit, Antworten zu finden, die sie ganz sicher nicht befriedigen würden.
***
Professor Ruiz hatte seinen ganzen Einfluß geltend gemacht. Daher fanden Zamorra und Nicole Duval eine erstklassige und ausreichende Ausrüstung vor, als der Armee-Hubschrauber sie kurz vor Urubamba absetzte.
Jed Diamond hatte ihnen sofort seinen zweistrahligen Privat-Jet geschickt. »Okay«, hatte der Öl-Millionär am Telefon gesagt, »das geht in Ordnung, Professor! Mein Pilot fliegt sie nach Peru und wird in Lima warten. Kommen Sie bald zurück, Zamorra! Damit ich erfahre, was es gegeben hat! Dann fliegen wir nach Paris!«
Unterwegs hatten sie erfahren, daß der Jet in Anta landen könnte. Dort wartete bereits der Helicopter.
Professor Ruiz war nicht untätig gewesen und hatte alles beschafft, was Zamorra und Nicole benötigten. Sein Wort galt etwas in Lima.
Was Zamorra und Nicole für ihre Hilfsaktion in den Kordilleren benötigten, war durch die Armee beschafft worden. Darunter befanden sich auch Parkas, Pelzstiefel und warme Unterwäsche, denn so heiß es in den Bergen tagsüber sein kann, so kühl wird es nachts.
Professor Ruiz erwartete sie auf dem Airport. Die Begrüßung war herzlich, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschte, daß der Peruaner voller Sorge um seine Tochter war.
Auf der Fahrt nach Urubamba erzählte Ruiz, was sich ereignet hatte. »Ich hatte Inez ausdrücklich verboten, auf eigene Faust etwas zu unternehmen«, beendete er seinen Bericht. »Ich verstehe sie nicht! Wie kann sie sich allein und noch dazu nachts in die Berge hinaufwagen?«
»Hm«, Zamorra rieb sich nachdenklich das Kinn, »und der Jeep, mit dem sie unterwegs war, ist inzwischen gefunden worden?«
»Ja«, klang es zurück. »Sie fragen das in einem so merkwürdigen Ton, daß ich…«
Zamorra winkte ab.
»Ruiz, Sie sprachen von einem Erdbeben. Und Sie äußerten den Verdacht, daß Inez ein Opfer dieses Bebens geworden sein könnte, falls nicht Mächte der Finsternis ihre Hand im Spiel haben. Wenn also das Fahrzeug gefunden wurde, ist zu vermuten, daß Ihre Tochter von Dämonen entführt wurde. So sehe ich es jedenfalls. Allerdings…«
»Allerdings?« wiederholte Ruiz, weil Zamorra plötzlich schwieg.
»Na ja, ich meine, Erdbeben haben die Angewohnheit, Spuren zu hinterlassen, nicht wahr? Spalten, Risse. Häufig brechen auch Berge auseinander. Sie aber sagten doch, daß Sie keine Veränderung festgestellt hätten, als Sie nach Ihrer Tochter suchten.«
»Stimmt. Es war so wie zuvor. Ich kann das beurteilen, schließlich war ich oft genug da
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