014 - Die Insel der wandelnden Toten
identisch ist. Sie kann uns mit Hilfe der Steinstatuen beobachten. Aber ich bin nicht sicher, ob die Warnung für mich bestimmt ist. Es paßt gar nicht zu Olivaro, daß er die Versform gewählt hat.«
»Wollen Sie mich dumm sterben lassen, Hunter?« sagte Gianni ungehalten. »Sagen Sie schon, was die Botschaft zu bedeuten hat!«
Dorian blickte in Richtung Norden. Dort stand in einiger Entfernung eine Steinstatue, wie sie sie auf der Dschungellichtung gesehen hatten. »Wir verschwinden hier besser«, sagte er. »Wir werden beobachtet. Wo ist Umberto?«
»Er verscharrt seinen Bruder.«
»Was?« Dorian packte Gianni am Arm. »Und Sie lassen das zu? Habe ich nicht eindringlich genug vor einer Ansteckung durch den Toten gewarnt?«
»Umberto hat versprochen, vorsichtig zu sein.«
»Aber es nützt nichts, wenn er seinen Bruder verscharrt. Franko muß verbrannt werden!« Dorian packte den Flammenwerfer und rannte auf den Dschungel zu. Er glaubte, den Weg zu der Lichtung zu kennen, trotzdem verirrte er sich einige Male, bevor er sein Ziel erreichte. Die Steinstatue stand noch immer an ihrem Platz. Sie war so leblos, wie Marmor es nur sein konnte. Dennoch hatte Dorian das Gefühl, daß sie ihn beobachtete. Zwei Meter von der Statue entfernt war eine Grube ausgehoben worden, daneben lag ein Spaten. Die Grube war etwa einen halben Meter tief – und leer. Von Umberto und seinem Bruder Franko fehlte jede Spur.
»Wann ist Umberto hierher gegangen?« fragte Dorian.
»Es war noch vor Sonnenaufgang.«
»Dann kann ich mir schon denken, was passiert ist.«
Umberto stieß den Spaten in die Erde. Nach einigen Stichen blickte er zu seinem reglos daliegenden Bruder. Eine schreckliche Veränderung war mit diesem vorgegangen. Sein ganzer Körper hatte sich schwarz verfärbt. Die Haut war schuppig. Aus seinen Poren drang eine schwarze Flüssigkeit. Ein furchtbarer Gestank ging von ihm aus.
Umberto schaufelte weiter. Das war er seinem Bruder schuldig. Er durfte nicht zulassen, daß man ihn wie den Kadaver eines Tieres einäscherte. Als er einen halben Meter tief gegraben hatte, hörte er plötzlich ein Stöhnen. Er fuhr herum und sah, wie sein Bruder sich bewegte. Ohne zu überlegen, rannte er zu ihm. Er nahm ihn in die Arme und richtete ihn auf.
»Franko, Franko, du lebst?«
»Ja, Bruder«, krächzte Franko. »Du hast mich wieder.«
Plötzlich zuckte Umberto zurück. Er betrachtete seine Hände, mit denen er Franko berührt hatte. Sie wurden vor seinen Augen schwarz, so als hätte er sie in Pech getaucht. Er schrie auf und wischte sie im Gras ab. Aber sie blieben schwarz. Wie von Sinnen rannte er schreiend in den Dschungel hinein.
Franko folgte ihm, wimmernd und stöhnend, denn die beginnende Verwesung verursachte ihm Schmerzen. Als die Brüder wieder zusammentrafen, unterschied sich Umberto im Aussehen kaum noch von Franko. Sie legten noch eine kurze Strecke zurück, dann wurden ihre Bewegungen immer langsamer, bis sie schließlich erstarrten. Die Sonne war aufgegangen. Ihre Strahlen versteinerten die beiden Untoten und bleichten sie.
Marcello Sanza kam erst wieder zu sich, als der verführerische Singsang abbrach. Auf einmal war es wieder totenstill. Er blickte sich um und fand sich inmitten eines subtropischen Dschungels.
Die fünf Männer, die mit ihm am Strand zurückgeblieben waren, umringten ihn. Sie sprachen plötzlich alle durcheinander, und aus ihren Worten ging hervor, daß sie nicht recht wußten, wie sie hierher gekommen waren. Sie hatten an die vorangegangenen Geschehnisse nur bruchstückhafte Erinnerungen, wußten nur noch, daß sie die Ausrüstung zusammengepackt hatten und aufgebrochen waren, als sie den süßen Gesang der fremden Frau hörten. Sie hatten nicht anders gekonnt, hatten der Stimme folgen und sehen müssen, wer da sang.
»Wenigstens sind wir bewaffnet«, redete sich Marcello Mut zu. »Die Küste liegt im Westen. Da die Sonne noch nicht aufgegangen ist, können wir uns noch nicht weit davon entfernt haben. Mit Hilfe des Kompasses werden wir leicht zurückfinden.«
Es stellte sich jedoch heraus, daß sich der Kompaß nicht unter der Ausrüstung befand.
»Macht nichts«, sagte Marcello Sanza. »Wir finden auch so zurück. Der Dschungel hat keine so große Ausdehnung, daß wir uns darin verirren könnten. Irgendwann werden wir schon zur Küste kommen.«
Aber so einfach war das gar nicht. Nach zehn Stunden Marsch war die Küste noch immer nicht zu sehen. Auf ihrer Wanderung waren sie keinem
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