014 - Draculas Höllenfahrt
Dracula hob den
Blick und starrte hinauf auf die ausgeblutete, wachsbleiche Gestalt Josef
Meyerlings. »Er hätte fast alles zunichte gemacht. Es gelang ihm, meine Bräute
zu töten – aber ich war wieder mal schneller. Und so hat er gar nichts
erreicht. Genausowenig werden Sie erreichen, Brent! Sie werden dieses Versteck,
von dem noch kein Mensch etwas ahnt, nicht mehr lebend verlassen.«
»Sie irren.« Mit diesen Worten hob
Larry drohend die Waffe, dachte aber überhaupt nicht daran, den Abzugshahn
durchzuziehen.
»Denken Sie an Ihre Schwester,
Brent«, hallte Draculas dumpfe Stimme durch die Dämmerung. »Miriam komm – komm
raus!«
Ein Rascheln in der finsteren Ecke.
Larry wandte den Blick, ohne jedoch Dracula außer acht zu lassen.
Larry Brent hielt den Atem an.
Miriam lebte – aber wie? War es das Nachtleben eines Vampirs?
Die Gestalt löste sich aus dem
Dunkel einer Nische. Verdreckt, staubig, ungepflegt. Das lange Haar fiel ihr
ins bleiche Gesicht. Mit leeren Augen starrte Miriam ihren Bruder an und schien
ihn zu erkennen. Aber ihre Reaktion war kühl.
»Tu ihm nichts, Larry, bitte, tu
ihm nichts!« Schrittweise kam sie näher. »Er war so gut zu mir. Ich möchte bei
ihm bleiben – für immer – du darfst ihn nicht töten …« Plötzlich stand sie
genau in der Schußlinie. Dracula schien diesen Augenblick abgewartet zu haben.
Wie ein Panther sprang er auf den Altar.
Larry Brent waren sekundenlang die
Hände gebunden als seine Schwester auf Tuchfühlung vor ihm stand. X-RAY-3
wollte sie sanft herumdrehen, um ihr nicht weh zu tun, aber Miriam krallte sich
in großer Verzweiflung an ihn. Sie stand völlig unter dem Einfluß dieses
schwarzen Satans, der durch das große Fensterloch der Kapelle zu entkommen
versuchte.
»Ich bin dein Bruder, Miriam – du
darfst mich nicht hindern! Ich bin gekommen, dir zu helfen. Nur ich kann dir
helfen.« Die vertraute Stimme ließ sie aufhorchen.
Larry riß kurzentschlossen die
Waffe hoch, fand ein Schußloch und drückte ab. Im gleichen Augenblick schlug
Miriam ihm gegen den Unterarm. Der grelle Laserstrahl traf knisternd die
farbige Glaswand und die Metallstäbe, Dracula schrie auf als das glutflüssige
Metall auf seine Hände tropfte. Er ließ los und versuchte über einen Balken zu
entkommen, rutschte ab. Larry stieß Miriam einfach von sich, er wollte sich
später um sie kümmern.
Das Schicksal entschied mit
Riesenschritten.
Durch die Erschütterung des
Dachgewölbes kamen Sand und Mörtel, Steine und Dreck ins Rutschen. Sand
rieselte auf Larry herab, ein großer Brocken löste sich von der Decke und
krachte neben dem Altar nieder. Ein Dachbalken schob sich über den anderen und
drückte die schwankende Aktentasche Josef Meyerlings nach vorn. Dracula duckte
sich, schützte sich vor dem herabrieselnden Mörtel und suchte sein Heil darin,
vom Altar herunterzukommen, rutschte dabei aus, schlug hin und die vom Dachgebälk
sich lösende Aktentasche öffnete sich. Die Utensilien regneten von der Decke
herab. Ein Buch, ein zusammenklappbarer Schirm, ein Fernglas und ein mit
Silbereinlegearbeiten versehenes, altmodisches Kruzifix.
Was Larry sah und hörte, würde er
sein Lebtag nicht vergessen. Das Kreuz bohrte sich wie ein Brenneisen in
Draculas Brust. Sein markerschütternder, gellender Schrei hallte geisterhaft
durch die Nacht und brach sich in der Kapelle wider.
Dracula alias Dr. Aston warf die
Arme zurück, seine Augen weiteten sich, und sein Körper, von finsteren Mächten
als Werkzeug benutzt, löste sich in rasendem Tempo auf. Die Haut wich von den
Knochen zurück und wurde durchschneidend, die Augen zerfielen wie morbides
Gestein, und leere Höhlen starrten in die Dunkelheit. Der Mantel über den
Körper fiel zusammen und versackte darin wie in einem Loch, der Stoff wurde
brüchig, und als sich Larry, bleich und müde, dem Altar näherte und den Umhang
berührte, konnte er ihn zwischen seinen Fingern zu Staub zerreiben. Auch Dracula
selbst wurde vor seinen Augen zu Staub! Zurück blieb das Kruzifix, mitten in
seinem zerfallenen Körper.
●
X-RAY-3 wandte sich um. Reglos und
apathisch stand Miriam in der Dunkelheit der unheimlichen Kapelle.
Er warf einen Blick auf den toten
Josef Meyerling.
»Er hatte alles vorbereitet,
Miriam«, flüsterte er leise, während er seine Schwester in die Arme nahm.
»Seinen größten Erfolg aber hat er nicht mehr erlebt. Aber er hat ihn – ohne es
zu wollen – doch noch erreicht. Draculas Höllenfahrt ist
Weitere Kostenlose Bücher