0141 - Die Hexe vom Schädelfelsen
Zamorra beschäftigte. Aber es gab keine Antwort auf diese Frage.
»Schlaf«, murmelte er. »Ich bin doch bei dir…«
Er küßte sie sanft.
Später schlief sie wieder ein.
***
»Chraaa!«
Die Frau in dem durchscheinenden Gewand schüttelte einmal kurz den Kopf, daß die roten Haare flogen. Der Rabe auf ihrer Schulter machte ein paar Flügelschläge.
Die Frau wandte den Kopf, sah den Raben an und erkannte in dem ihr zugewandten Auge das, was er gesehen hatte. Eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn.
Dann setzte sie sich langsam in Bewegung und schritt den steilen Pfad hinunter. Langsam nur, denn sie hatte Zeit. Weit vor ihr war die Meute der Unheimlichen, die sich auf das Dorf zuwälzte. In wenigen Minuten würde die Horde den Ort erreichen und eine kleine Hölle entfesseln.
Ein hartes Lächeln umspielte ihren Mund, als sie daran dachte. In einer Vision sah sie, was geschehen würde. Das Kreischen und Spektakeln der Kobolde und Gnomen war kaum noch zu vernehmen. Sie waren schnell, sehr schnell.
Der Rabe krächzte, dann hob er von der Schulter der Frau ab und schwang sich in die Luft. Sie sah jetzt durch seine Augen und schwebte hoch in der Luft. Mit raschen Flügelschlägen näherte sich der Rabe dem Dorf und kreiste in großer Höhe. Durch seine Augen beobachtete die Frau.
Plötzlich war da etwas in ihr, das sich wehrte.
»Nein!« gellte der Schrei. »Nein, ich will nicht! Ich bin doch kein…«
Etwas zerriß wie ein Vorhang und gab etwas anderes frei.
Aber bevor es zerriß, schloß sich noch der schädelförmige Felsen…
»Nein…!«
»Chraaa!« schrie der Rabe.
***
»Ruhe, verdammt«, knurrte Zamorra im Halbschlaf. Nicole als Hysterikerin war für ihn ein Novum. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«
Neben ihm saß Nicole wieder aufrecht im Bett. Vorsichtig schielte der Parapsychologe zur Uhr. Sechs Uhr morgens. Draußen begann es hell zu werden.
»Der Traum«, murmelte Nicole. »Die Frau und der Rabe…«
Zamorra warf die Decke zurück. Zum Weiterschlafen war es zu spät, denn dann würde es früher Nachmittag werden, bis er wieder die Augen aufbekam; er kannte sich. Andererseits, überlegte er, war die Wahrscheinlichkeit, vorher ein drittes Mal von Nicole geweckt zu werden, enorm hoch.
Im gleichen Moment, in dem er sich entschlossen hatte, aufzustehen, war er wieder ruhig und ausgeglichen. »Was war denn diesmal los, Nici? Erzähle!« bat er und schielte zum geschlossenen Fenster.
Nicole Duval deutete seinen Blick richtig.
»Nein, der Rabe hockt dort nicht, der Unsichtbare«, sagte sie leise. »Ich habe wieder von ihm geträumt, so wie beim ersten Mal… und doch anders.« Sie schluckte, dann fuhr sie fort: »Es war die Fortsetzung des ersten Traums, die direkte Weiterführung.«
»Das ist ungewöhnlich«, stellte Zamorra fest, lègte den Arm um ihre bloßen Schultern und hauchte ihr einen Kuß aufs Ohr. »Normalerweise wiederholt sich der Traum oder kommt nicht wieder, aber eine Fortsetzung…«
»Doch, es war eine Fortsetzung«, sagte sie. »Beim erstenmal träumte ich, daß aus einem schädelförmigen Felsen, aus dem Mund, eine Frau hervortrat, auf deren Schulter ein Rabe hockte. Vor der Frau tummelten sich bösartige, kleine Wesen, die ins Tal hinabeilten. Der zweite Traum schloß direkt an diese Szene an. Wieder der Rabe auf der Schulter, und dann… die Frau sah durch die Rabenaugen. Und, Zamorra…«
Er spitzte die Ohren. Es gab drei Arten, wie sie ihn anredete. Nannte sie ihn »Chef«, ging es ums Geschäftliche. Bei »Cherie« war sie in zärtlicher Stimmung. Aber wenn sie ihn beim Namen nannte, war etwas faul im Staate Dänemark.
»Diese Frau mit dem Raben - war plötzlich ich !«
Zamorra schwieg, sah sie ungläubig an. Es konnte nicht sein! Nach allem, was Nicole angedeutet hatte, stand die Frau mit dem Raben als Sinnbild des Bösen. Aber eine Identifikation…
Nicole konnte nicht böse sein! Es war unmöglich, widersprach ihrem Charakter selbst im kleinsten Detail.
Der Wissenschaftler in Zamorra begann zu erwachen. Er war Professor der Parapsychologie. Auch Traumdeutung gehörte mit in sein Fachgebiet. Allerdings kannte er keinen ähnlich gelagerten Fall. Es gab keinen Vergleich.
»Wie fühltest du dich, als du erkanntest, diese - Rabenfrau zu sein?« fragte er.
»Miserabel«, erwiderte Nicole Duvâl, seine Lebensgefährtin und praktischerweise gleichzeitige Sekretärin. »Ich… war geschockt. Ich fühlte mich, als ob ich sterben müsse. Ich versuchte, mich
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