016 - Das Dämonenauge
sagte Parker. »Gibt es um diese Zeit noch etwas zu essen?«
»Nein«, sagte Dembu. »Um diese Zeit nicht mehr. Aber bei mir zu Hause bekommen Sie Essen.«
Er fuhr rasch weiter. Sie ließen Leogane hinter sich.
»Jetzt wird die Straße ganz schlecht«, warnte er. »Sie müssen sich festhalten.«
Hunter hatte in seinem Leben schon einige schlechte Straßen gesehen, aber so eine noch nie. Die Räder des Jeep drehten alle paar Minuten durch. Manchmal mußten er und Parker den Wagen sogar anschieben, um ihn aus den gewaltigen Furchen herauszubekommen.
Sie benötigten fast eine Stunde, bis sie das Dorf erreichten. Es bestand aus zwei Dutzend primitiven Holz- und Ziegelhäusern. Vor einem der Häuser hielt Dembu den Wagen an.
»Das ist das Haus meiner Eltern«, sagte er stolz.
Parker unterdrückte eine spöttische Bemerkung. Sie stiegen aus. Die dunklen Wolken hatten sich verzogen, und der Mond stand hoch am Himmel. Er spendete genügend Licht.
»Ich verständige meinen Vater«, sagte Dembu und ging ins Haus.
»Ich wette, daß es drinnen von Wanzen und Läusen nur so wimmelt«, sagte Parker mißmutig. »So eine blödsinnige Idee, mitten in der Nacht in dieses Drecksnest zu fahren.«
»Du übertreibst mal wieder gewaltig«, meinte Dorian und lud das Gepäck aus.
Vali blickte sich mit blitzenden Augen um. Sie war in so einem Dorf aufgewachsen. Jetzt bin ich wirklich nach Hause gekommen , dachte sie zufrieden. Sie fühlte sich gelöst und heiter.
Dembu kehrte in Begleitung eines alten Farbigen zurück, der Leinenhosen und ein weißes Hemd trug. Sein Gesicht war faltig und das Kraushaar weiß.
»Das ist mein Vater. Er ist einverstanden, daß Sie bei uns bleiben.«
Hunter trat auf den Alten zu und streckte seine rechte Hand aus. »Das ist nett von Ihnen«, sagte er freundlich und lächelte gewinnend.
Der Mann drückte Hunters Hand, dann fiel sein Blick auf Vali, und seine Miene veränderte sich. Er riß die Augen auf. »Herr im Himmel!« Er sprach Kreolisch, dieses seltsame Gemisch aus Französisch, Spanisch und Afrikanisch. »Die Loa Valiora!« Er warf sich zu Boden, bekreuzigte sich und zitterte vor Aufregung am ganzen Leib.
»Steh auf«, sagte Vali. »Ich bin keine Heilige. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut.«
Er rappelte sich hoch, wagte aber noch immer nicht, das Mädchen anzusehen.
Dembu führte sie ins Haus. Es war überraschend sauber. Die Möbel waren einfach, wahrscheinlich selbst gezimmert. Es gab kein elektrisches Licht. Dembu hielt eine Petroleumlampe in der rechten Hand. Er betrat einen Raum, in dem ein gewaltiger Tisch und einige Sessel standen. Vor einer Wand blieb er stehen und hob die Lampe hoch. Der flackernde Lichtschein fiel auf ein großes Bild, das in einem roten Holzrahmen steckte. Dorian kam neugierig näher. Es gab keinen Zweifel, das Bild stellte Vali dar. Das gleiche Haar, die gleichen Augen, der gleiche volle Mund und die gleiche kleine Nase.
»Sieht tatsächlich so aus, als hätte Vali für den unbekannten Maler Modell gesessen«, ließ sich Parker vernehmen. »Wie alt ist dieses Bild?«
»Unsere Familie hat es seit mehr als fünfzig Jahren in Besitz«, sagte Dembu.
Parker lachte. »Dann ist es natürlich unmöglich, daß Vali das Modell war. Vielleicht ihre Mutter?«
Vali starrte das Bild verzückt an und neigte sich vor, doch plötzlich zuckte sie zurück. Sie erkannte den Ohrring, der vom rechten Ohr herabbaumelte. Es war ein Silberreifen mit einer ungewöhnlichen Verzierung. Eine Schlange wand sich um ein Auge. Sie kannte diesen Ohrring. Sie hatte ihn vor zweihundert Jahren getragen.
»Ich zeige Ihnen nun die Zimmer«, sagte Dembu.
Hunter war das Zusammenzucken Valis nicht entgangen. Er betrachtete das Bild eingehender, doch ihm fiel nichts Besonderes auf.
»Was hast du?« fragte er Vali leise.
»Der Ohrring«, sagte das Mädchen.
»Ohrring?« fragte Hunter verwundert. »Ich sehe keinen Ohrring.«
»Aber ja!« sagte Vali. »Am rechten Ohrläppchen.«
Hunter trat näher ans Bild heran, doch so sehr er sich auch bemühte, er sah keinen Ohrring. »Du mußt dich irren«, sagte er. »Da ist kein Ohrring auf dem Bild.«
»Ich irre mich nicht«, erklärte Vali laut und fragte die anderen: »Seht ihr den Ohrring?«
Parker schüttelte den Kopf, und Dembu trat erschrocken zurück.
»Ihr müßt ihn sehen!« sagte Vali schrill. »Ein Silberring mit einer Verzierung.«
Hunter blickte wieder Vali an. Ihr Gesicht war verzerrt.
»Du kennst das Bild besser als wir alle,
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