0166 - Das Werwolf-Mädchen
ausgestreckten Armen. Weißblondes Haar umspielte ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht und floß bis weit über die Schultern herab. Einer der Wölfe löste sich jetzt aus dem Rudel und eilte zu ihr, sprang an ihr hoch Sie kraulte seinen zottigen, kantigen Schädel, und er stieß ein leises Winseln aus und leckte an ihren Händen. Dann ließ er sich wieder auf alle viere nieder und rieb seine Flanke an ihrem Bein.
»Komm«, sagte sie. »Wir gehen. In dieser Nacht wird es Beute geben.«
Die Sonne sank bereits, aber es war noch immer warm. Das Mädchen setzte sich in Bewegung, und lautlos, wie Schatten, folgten ihr die großen, grauen Wölfe…
***
Die Begrüßung wurde kurz und schmerzlos durchgezogen. Inzwischen hatte der Champagner eine passable Temperatur erreicht, und Yardin entschloß sich, den ersten Korken haarscharf an der Deckenlampe vorbeizuschießen. »Habt ihr euch den Schmugglerpfad angesehen?« fragte er, während er das schäumende Getränk in die Gläser sprudeln ließ.
Zamorra schüttelte den Kopf. »Wir sind nach Paimpont gefahren und haben uns Broceliande angesehen.«
»Den Zauberwald?« warf Monique ein. Zamorra nickte. »Merlins Zauberwald. Ein wenig eigenartig wirkt er schon. Man kann sich lebhaft vorstellen, daß es dort einmal jede Menge Feen und Zauberer gegeben hat…«
»Und immer noch gibt«, ergänzte Monique und hob ihr Glas. »Auf euer Wohl und auf den alten Merlin, der da sein Unwesen getrieben hat.«
Zamorra und Nicole warfen sich vielsagende Blicke zu. »Auf Merlin«, sagte Zamorra. Woher sollten die anderen schließlich wissen, welche besondere Beziehung es zwischen ihm und dem alten Magier gab, der auch in der heutigen Zeit immer noch existierte und still und heimlich seine Fäden zog, um die Menschen zu schützen…
Sie waren ein wenig in den legendären Wald hineingegangen und hatten den Hauch der Ewigkeit gespürt. In den Legenden schien ein wahrer Kern zu stecken. Mit seinen Para-Sinnen hatte Zamorra tatsächlich Schwingungen aufgefangen, die auf Merlin hindeuteten. Der gerissenste und mächtigste aller Weißen Magier mußte einmal hier gewesen sein, vielleicht auch jetzt noch zuweilen hier auftauchen. Vielleicht war es einer seiner geheimen Stützpunkte, in denen er sich vor der Öffentlichkeit verbarg. Vor den ungläubigen Menschen einer Welt, die in Aufruhr geraten war, und in der es die Mächte der Finsternis immer leichter hatten, die Macht zu erringen.
»Was ist eigentlich aus diesem Geheimnisträger geworden?« fragte Zamorra beiläufig, während er das halb geleerte Glas auf den runden Marmortisch zurückstellte, einen Arm dabei um Nicoles Schultern gelegt und bedächtig ihr Ohrläppchen kitzelnd.
»Madame Assaire hatte wohl ein wenig zu sehr Recht«, brummte Yardin. »Wir haben ihn tot gefunden, irgendwo draußen. Ein Wolfsrudel ist über ihn hergefallen.«
Die drei anderen hoben synchron die Brauen. »Wölfe?« fragte Nicole überrascht. »Gibt’s die hier?«
»Anscheinend neuerdings wieder«, brummte der Inspektor. »Aber wir sollten das unerfreuliche Thema ein wenig beiseiteschieben, es gibt Interessanteres zu erzählen. Beim Pfad seid ihr also nicht gewesen. Das könnte man eigentlich jetzt nachholen«, schlug er vor. »Wir könnten eine kleine Strandparty dort unten veranstalten. Keiner stört uns, wir stören keinen, außerdem ist es ein herrliches Wetterchen. Laßt uns die Fische erschrecken.«
»Keine Einwände«, sagte Nicole und stieß Zamorra an. »Was hältst du davon?«
***
»Hatschi!« nieste der Professor, dem es seit einer halben Minute immer stärker in der Nase kitzelte. Die gröbsten Auswirkungen des Schnupfens hatte er mit Medikamenten unterdrückt, aber hin und wieder kam doch etwas durch. »Einverstanden«, sagte er dann dumpf. »Laßt uns aber den Champagner mitnehmen und vorher vielleicht noch irgendwo in einem Gasthaus einkehren. Ich verspüre Hunger.«
»Das ist eine gute Idee«, stellte Monique fest. »Rötling à la Morbihan, Muscheln, Muscadet…« begann sie zu schwärmen. »Laßt uns zum ›Hotel des Rochers‹ fahren, zu Madame Justin.«
»Da könnten wir eigentlich direkt auch nach Quartieren fragen«, stellte Nicole fest und bewies wieder einmal, daß sie ihren Spitznamen als Zamorras »Zusatzgedächtnis« zu recht trug. An die Frage der nächtlichen Unterbringung hatte der Parapsychologe nämlich den ganzen Tag über noch keinen Gedanken verschwendet.
»Das ist überflüssig«, wehrte Yardin ab. »Ihr könnt bei mir
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