0168 - Die Teufels-Dschunke
der Gestank in diesem Verlies kaum auszuhalten war, kam er ihr vor wie der reinste Sauerstoff.
Endlich konnte sie wieder atmen und auch klar sehen.
Sie schaute auf einen Bekannten. Es war der dritte Chinese. Er hatte auch am Steuer des Wagens gesessen. Licht umspielte seinen Körper. Er stand in einer Wandöffnung genau gegenüber. Und durch die Luft zischte ein kleiner Gegenstand, der auf der Stirn des Mannes seinen Platz fand.
Es war der Schlangenpfeil. Er hatte das Monster getötet. Und zwar endgültig getötet, denn es lag vor Shaos Schuhen und rührte sich nicht mehr.
»Sie… sie hätten mich umgebracht«, flüsterte Shao und schüttelte sich. »Sie …«
»Komm her!« befahl der andere.
Als Shao nicht sofort gehorchte, wiederholte er seinen Befehl.
Diesmal mit wesentlich schärferer Stimme.
Da ging Shao.
Wie in Trance schritt sie voran. Ihre Füße schleiften über den Boden, der Blick war starr geradeaus gerichtet, sie wollte die Kopflosen nicht sehen.
Der Mann ließ sie vorbei.
Shao trat von der Dunkelheit ins helle Licht, das ihre Augen ein wenig blendete. Sie mußte sich erst daran gewöhnen, und als sie sich dann umschaute, da konnte sie sich nur wundern.
Zwischen dem ersten und diesem Raum lagen Welten, was die Ausstattung anging. Ihre Schritte waren nicht mehr zu hören, weil sie auf Teppichen ging. Die Wände waren schwarz gestrichen.
Deshalb fielen die aufgemalten roten Schlangen besonders auf. Am Ende des Raumes befand sich eine weitere Tür, die jetzt von dem Chinesen geöffnet wurde, damit Shao weitergehen konnte.
Allerdings gestattete der Mann ihr noch keinen Blick in den dahinterliegenden Raum. Er hielt die Tür nur einen Spalt offen.
»Ich habe dich nicht aus lauter Menschenfreude gerettet«, erklärte er, »sondern aus einem anderen Grund. Du sollst Tschu Wang, den ehemaligen Mandarin und jetzigen Dämon, kennenlernen. Und er will dich sehen, denn schon damals hat er gern hübsche Frauen gehabt. Du wirst ihm allein gehören.«
Shao vernahm die Worte, aber sie setzte sie nicht um. Sie gingen in ein Ohr rein, an dem anderen wieder hinaus.
Der Chinese stieß die Tür noch weiter auf. Jetzt konnte Shao in den Raum hineinblicken.
Es brannte düsteres rotes Licht. Auch auf dem Boden lagen kostbare Teppiche. In der Mitte des Raumes jedoch stand ein hochlehniger Stuhl, der schon mehr an eine Sänfte erinnerte. Allerdings besaß sie kein Dach oder Seiten, die man abdecken konnte.
In der Sänfte saß Tschu Wang.
Noch war von ihm nicht viel zu sehen, weil das Licht doch etwas schwach strahlte. Shao mußte näher herangehen, was sie auch tat.
Schritt für Schritt bewegte sie sich weiter.
Allmählich schälten sich die Umrisse des Dämons hervor. Und dann blieb Shao stehen. Sie wurde steif wie ein Ladestock und hatte das Gefühl durchzudrehen.
Was sie zu sehen bekam, raubte ihr fast den Verstand.
Tschu Wang konnte man als Mischung zwischen Mensch und tierischer Kreatur bezeichnen.
Bis zur Hüfte war sein Unterkörper völlig normal. Was dann folgte, war der nackte Horror.
Der Oberkörper war nichts anderes als eine dicke, knallrote Schlange…
***
Das war der absolute Wahnsinn!
Etwas anderes fiel Shao nicht ein. So eine grauenhafte Gestalt hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Dieser Anblick reichte, um ihre Knie zittern zu lassen, und regelrechter Ekel stieg in ihr hoch. Es kostete sie eine ungewöhnliche Mühe, sich den Oberkörper dieses Dämons anzuschauen.
Sie hatte von Apep, der Höllenschlange, gehört. Natürlich war Tschu Wang nicht so groß, aber der Durchmesser des Schlangenleibs konnte mit dem eines Menschen durchaus standhalten. Es gab keine Arme, es gab keine Finger, aber zwei kleine, tückisch blickende Augen und ein gewaltiges Maul, das Tschu Wang jetzt aufklappte.
Shao bekam den zweiten Schock.
Noch nie hatte sie solch eine lange, giftgrüne Zunge gesehen, die vorn gespalten war. Sie sah aber auch die beiden Zähne. Hart und spitz stachen sie aus dem oberen Schlangenmaul. Und die Öffnung war so groß, daß Tschu Wang ein Reh oder ein Wildschwein verschlingen konnte.
Auch einen Menschen…
Das Maul klappte zu. Hinter sich hörte Shao das Geräusch einer schließenden Tür. Sie war jetzt von den untoten Kopflosen abgesperrt, doch dies hier war schlimmer.
Tschu Wang saß nicht ruhig. Hin und her wogte der Schlangenkopf, und die seltsam kleinen Augen fixierten Shao mit einer barbarischen Kälte. Sie ließen sie auch nicht los. Mal zuckte die Schlange
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