0174 - Lupinas Todfeind
wird Zeit!«
Jovanka und Marcel nickten. Sie faßten sich an den Händen, schauten ebenfalls hoch zum Mond, öffneten ihre Lippen, und noch bevor die Verwandlung begonnen hatte, drang bereits ein heulendes Klagen aus ihren Rachen.
Dann begann die Metamorphose des Schreckens. Bei beiden veränderte sich die Haut. Haare sprossen, wurden zu Fell. Die Gesichter verlängerten sich, aus den Mündern wurden Schnauzen mit gefährlichen Reißzähnen.
Jovanka heulte dabei und schrie. Noch hatte sie die Kräfte nicht unter Kontrolle, sie konnte sie nicht so steuern wie ihr Bruder, der sich bereits öfter verwandelt hatte.
Jovanka trampelte, taumelte und schrie. Sie wand sich am Boden, keuchte und jaulte. Ihre Kleidung riß, als würden unsichtbare Hände daran zerren. Sie bestand zum Schluß nur noch aus alten Fetzen, aber das war nicht wichtig.
Sie wollte nur zur Bestie werden.
Und sie wurde es.
Als sich Jovanka wieder auf die Füße stemmte, war sie eine perfekte Werwölfin.
Auch Silva hatte die Verwandlung mit angesehen. Sie nickte zufrieden, wobei sie noch ein leises Lachen ausstieß. Ihre Geschwister waren den gleichen Weg gegangen wie sie. Beide hatten ihr soeben den Beweis offen gelegt.
Jetzt wollte sie wissen, für wen sie sich entschieden hatten. Lupina oder sie?
»Ich freue mich, daß auch ihr endlich dazu gehört!« rief Silva. »Nun sind wir auch äußerlich eine Familie, aber ich möchte von euch wissen, auf wessen Seite ihr steht. Sagt es mir hier und sagt es mir ins Gesicht!«
Die beiden schwiegen. Wohl fühlten sie sich nicht, das war deutlich zu merken.
»Los, raus mit der Sprache. Wem wollt ihr gehorchen?«
Jovanka übernahm das Wort, und sie sagte: »Ich habe Jurinas letzte Worte vernommen. Sie wollte, daß wir Vaselys uns wieder vereinigen, daß wir nicht mehr getrennt leben.«
»Das ist nun geschehen!« rief Silva dazwischen. »Es ist noch keine Antwort auf meine Frage.«
»Die alte Frau wollte auch, daß Lupina die Führung der Werwölfe übernimmt. Sie ist gekommen, sie ist die Königin.«
»Heißt es, daß ihr Lupinas Anordnungen und Befehlen gehorchen wollt?«
»Ja.«
Die Antwort hatte Silva doch einen leichten Schock versetzt, obwohl sie eigentlich damit gerechnet hatte. Aber es war etwas anderes, wenn man es ihr direkt ins Gesicht sagte.
»Und ich gebe dir einen guten Rat«, führte Marcel die Rede seiner Schwester fort. »Ordne dich ihr auch unter, Silva. Du kannst doch an die zweite Stelle treten!«
»Nein. Niemals!« schrie sie. »Nein und abermals nein! Ich führe, nicht sie!«
»Dann muß es zu einer Entscheidung kommen!« rief Lupina.
»Die kannst du haben. Unter der schwarzmagischen Kraft des Mondes wollen wir herausfinden, wer von uns beiden die bessere Führerin ist. Der Kampf muß bis zum bitteren Ende gehen. Es darf nur einen Sieger geben. Die eine muß die andere töten. Für zwei Königinnen ist kein Platz auf dieser Welt.«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Silva. Und jetzt verwandle dich endlich!«
Silva nickte. Ihre blonden Haare flogen. Eine Windbö rauschte in den Burghof. Irgendwo am fernen Himmel war ein fahles Wetterleuchten zu sehen. Wahrscheinlich tobte sich weit über dem Meer ein Gewitter aus.
Silva fiel auf die Knie. Sie hob beide Arme, legte die Hände gegeneinander und flehte den Mond an. Sie sprach, doch niemand hörte, was sie sagte. Silva hielt Zwiesprache mit dem Erdtrabanten, der ihr soviel bedeutete.
Und auch sie verwandelte sich. Allerdings wurde ihre Haut nicht dunkler, sondern heller. Überall sproß das helle Fell. Auf dem Gesicht, am Rücken, vorn am Körper. Es bedeckte bald Arme und Beine, die Zehen und die Finger.
Das Gesicht, als Mensch mit einer sinnlichen Ausstrahlung versehen, veränderte sich ebenfalls.
Eine Schnauze wuchs.
Lang und spitz, mit Ober- und Unterkiefer, in denen die Reihen der scharfen Zähne wuchsen. Aus den Händen wurden Krallen, die Füße verwandelten sich zu Tatzen, und das Fell leuchtete wie frisch gefallener Schnee.
Das war die weiße Wölfin!
Sie warf ihren Kopf hin und her, heulte den Mond an, als bekäme sie von ihm allein eine Antwort auf ihre Fragen.
Lupina scheuchte die beiden Geschwister weg. Sie brauchte jetzt Platz, um kämpfen zu können, und sie wollte Silva keine Chance lassen.
Eine konnte nur am Leben bleiben. So wollte es das ungeschriebene Gesetz der Werwölfe.
»Bist du bereit?« rief Lupina.
»Ja!« Die Antwort war mehr ein Heulen, und doch für menschliche Ohren verständlich.
»Dann
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