Skandal um Lady Amelie
1. KAPITEL
In einem raschen Ausfall traf die Degenklinge auf die gepolsterte Schutzweste des Gegners, dann zog Lord Elyot die Waffe zurück und senkte sie. Mit einem Lachen erkannte der Marquis of Sheen seine Niederlage an und hob salutierend einen Arm. „Gut gemacht, mein Junge“, rief er, während er seinen Degen dem Fechtmeister übergab. „Ich frage mich, ob ich dich wohl noch einmal schlagen werde.“
Der Jüngere nahm die Fechtmaske ab und entgegnete: „Nicht, wenn ich es vermeiden kann, Sir. Ich habe lange genug gebraucht, bis ich mich mit Ihrer Fertigkeit messen konnte.“ Er schüttelte seinem Vater die Hand und nahm dabei wieder einmal bewundernd zur Kenntnis, wie wendig und scharfäugig der Zweiundfünfzigjährige noch war. Dabei entging ihm allerdings, wie sehr er selbst ihm ähnelte. Jeder, der den Marquis in seiner Jugend gekannt hatte, musste zugeben, dass hier das Ebenbild des Vater stand, groß, breitschultrig, geschmeidig, mit schmalen Hüften und überaus attraktiv. Vom Kampf zerzaust, fiel ihm das dunkle, beinahe schwarze Haar ins Gesicht, und sein Mund, der so sympathisch jungenhaft lächeln konnte, ließ Frauenherzen oft genug aufgeregt klopfen.
Die beiden Herren setzten sich, um dem nächsten Kampf zuzusehen. „Sie sind doch auf der Höhe, Vater?“, fragte Lord Elyot.
Der Ältere schnaufte abfällig. „Allerdings; schlechte Gesundheit kann ich nicht als Entschuldigung für meine Niederlage anführen. Mir ging es nie besser. War mit meinen Gedanken nicht ganz bei der Sache, schätze ich.“ Der Marquis sah seinen Sohn von der Seite an. „Irgendeine Ausrede muss ich ja vorbringen.“
Lord Elyot lehnte sich zurück. „Was ich nicht von Ihnen kenne, Sir. Also, wo gibt es Probleme? In London oder Richmond?“
„In Richmond, Nick. Sagtest du nicht, du fährst heim?“
„Ja, ich muss hier noch ein paar Kleinigkeiten klären, doch morgen fahre ich zurück. Es wird Zeit, sich wieder um den Besitz zu kümmern. Immerhin bin ich seit fünf Wochen hier.“
„Was klären? Geht es um Unterröcke? Ist es immer noch diese Selina … wie heißt sie doch gleich?“
„Miss Selena wie-heißt-sie-doch-gleich …“, Nick grinste, „… verließ mich schon vor Wochen, Vater. Sie sind nicht auf dem Laufenden.“
„Und wie viele kamen denn danach?“
„Ach, ich weiß nicht. Ein paar. Aber es geht um Seton, ihn will ich nach Hause schaffen, ehe er sich in Schwierigkeiten bringt. Nein, keine Aufregung, noch ist nichts passiert, doch wenn er noch eine Weile in London bleibt … In Richmond gibt es genug für ihn zu tun. Er kann mir bei der Verwaltung über die Schulter schauen. Frische Luft wird ihm guttun. Es wird sich genug finden, ihm die Langeweile zu vertreiben.“
„Vielleicht könnte er dir bei einer Untersuchung helfen.“
„Um was geht es, Sir? Wilderer?“
„Nicht ganz so simpel. Es kamen Klagen aus dem Magistrat, jemand pfuscht in Gemeindeangelegenheiten herum.“
„Wer?“
„Ah, eben das weiß man nicht. Komm, ich erzähle dir, worum es geht, während wir uns umziehen.“
Wie jeder Adelige, der seine Stellung in der Gesellschaft ernst nahm, oblagen auch dem Marquis of Sheen, der, wie schon seine Vorfahren, in Richmond in der Grafschaft Surrey residierte, diverse Verpflichtungen, unter anderem war er Vertreter des königlichen Stallmeisters und hatte einen Richtersitz inne. Musste er aufgrund dieser Tätigkeiten seinem Besitz in Richmond fernbleiben, nahm ihm sein ältester Sohn Lord Nicholas Elyot gern die Verwaltung der Güter ab, und früher oder später würden auch die zuvor genannten Pflichten auf seinen Schultern lasten. Richmond lag flussaufwärts nur gut zwei Fahrstunden von London entfernt, und der Magistrat der kleinen Stadt bestand aus tatkräftigen, angesehenen Bürgern wie dem Pfarrer, dem Lehrer, mehreren Gutsbesitzern und selbstverständlich dem Marquis als höchster Obrigkeit.
Dem Gemeinderat oblagen Aufgaben wie die Instandhaltung und Beleuchtung der Straßen, der Brandschutz, die Verfolgung von Straftaten und die Sorge um Bedürftige, die meist im Armen-oder im Arbeitshaus landeten. Dort erhielten sie zwar Unterkunft und magere Nahrung, indes war das Leben in solchen Institutionen hart und alles andere als angenehm.
„Irgendjemand treibt ein seltsames Spiel, besticht die Aufseher des Arbeitshauses. Zwei junge Frauen haben sie schon laufen lassen – beide in anderen Umständen –, die man gerade erst aufgegriffen hatte.“
„Und man weiß nicht,
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