018 - Der Mönch mit den Teufelskrallen
Zielpunkt erreicht hatte. Mit der Rechten
versuchte sie die massive Türklinke herabzudrücken. Am vergangenen Nachmittag
war sie zum letzten Mal heimlich im Archiv gewesen und hatte das Schloss
geöffnet und danach den Schlüssel wieder an Ort und Stelle gehängt.
Die schwere
Holztür gab nach.
Fernanda
atmete auf.
Da hörte sie
ein Geräusch in der Dunkelheit hinter sich. Sofort blies sie das Streichholz
aus, stellte sich so, dass sie die kalte Mauer im Rücken hatte und ließ die Tür
zur Kammer halb geöffnet, um sofort einen Fluchtweg zu haben, falls es sich als
notwendig erweisen sollte.
»Marina?«
»Ja«, hauchte
eine Stimme. Die Freundin huschte näher. Ihr Gesicht war bleich. »Ich bin fast
mit Don Juan zusammengestoßen«, wisperte sie, während sie einen angstvollen Blick
zurück in das Dunkel der Gewölbe warf. »Ich konnte aber hinter einer Säule
Schutz finden. Ich habe Angst. Wenn sie nun entdecken, dass unsere Betten leer
sind, dann geht die große Sucherei los. Ich habe keinen Mut mehr, Fernanda, ich
...«
»Ach was, Unsinn.
Komm jetzt, Marina. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Je schneller wir es hinter
uns bringen, desto besser.« Die beiden Mädchen gingen in den düsteren
Kellerraum.
Marina kannte
diese Kammer mit den Bogendecken. Links stand der alte Webstuhl, direkt vor
ihnen ein Ungetüm von einem Schrank. In der Ecke lag ein Berg alter Lumpen.
Wortlos legte
Fernanda den Morgenmantel ab, darunter trug sie ein schlichtes graues Kleid.
Marina hatte
ähnliche Vorbereitungen getroffen. »Und jetzt?«, fragte sie mutlos und blickte
sich in dem Gewölbe um, in dem hin und wieder ein Streichholz aufflackerte.
»Du wirst
gleich sehen.« Fernanda legte ein letztes Mal ihr Ohr an die Tür. Ihr war, als
ob jemand die Treppenstufen herabkäme; für einen Augenblick hörte sie deutlich
Schritte.
Oder täuschte
sie sich? Ihr Herz klopfte, das Blut pochte in ihren Schläfen, sie fühlte den
Schweiß in ihren Handflächen. Es kehrte wieder Stille ein, als sei jemand
stehengeblieben. Kein weiteres Geräusch folgte. Marina presste die Lippen
zusammen. »Was ist?«
»Hörst du
nichts?«
»Nein.«
Fernanda
wischte sich über das Gesicht. »Die Nerven, es ist nichts. Du mit deinem Gerede
von Don Juan. Ich höre schon Gespenster. Er hat dich auch bestimmt nicht
gesehen?«
»Nein.«
»Dann ist es
gut.« In dem Augenblick schrie Marina auf. Es raschelte zwischen ihren Füßen.
Fernanda
presste ihre Hand auf den Mund der Freundin. »Bist du verrückt?«, zischelte
sie. »Das sind Mäuse, nichts weiter. Wenn wir Pech haben, begegnen uns sogar
ein paar Ratten. Doch das ist noch lange kein Grund, loszuschreien.« Fernanda
drückte ihr die Schachtel in die Hand. »Wenn ich Licht brauche, zündest du ein
Streichholz an, kapiert?«, und öffnete eine Schranktür. »Streichholz«, sagte
sie. Dicht neben ihr flammte das Hölzchen auf.
Marina sah in
den riesigen, geöffneten Schrank. An der hölzernen Stange hingen unzählige alte
Kleider, Mäntel und Kutten. Wortlos wählte Fernanda zwei Kutten. Sie waren
schäbig, geflickt, völlig abgetragen. Vielleicht waren sie vor Jahren oder
Jahrzehnten einmal in dieser Rumpelkammer gelandet.
Beide Frauen
streiften die Kutten über.
»Damit sind
wir schon eine Weile sicher, überhaupt dann, wenn wir uns durch den
Klostergarten bewegen«, flüsterte Fernanda, zog die Kapuze über und verbarg ihr
Gesicht. »Man wird uns – auf den ersten Blick – nicht von den anderen Mönchen
unterscheiden können.«
»Woher weißt
du eigentlich, dass wir im Klostergarten landen?«
»Weil dieser
Weg dahin führt.« Fernanda drückte mit aller Kraft gegen die schwere
Kleiderstange. Ein dumpfes Knirschen erklang, das sich anhörte, als würde sich
eine Steinplatte unter dem Schrankboden verschieben. Im aufflackernden Licht
des Streichholzes sah Marina, wie sich die Bodenplatte hob.
Fernanda ging
in die Knie. »Der Raum zwischen den beiden Böden ist gerade so breit, dass man
sich – flach auf dem Bauch liegend – durchzwängen kann. Nach etwa zwei Metern
folgt der Geheimtunnel. Er ist so hoch, dass man aufrecht darin gehen kann ...«
»Wie hast du
das entdeckt?«
Leise lachte
Fernanda: »Ich habe ein Talent, jede neue Umgebung zu ergründen und hier unten
jeden Winkel durchstöbert. Der Teufel mag wissen, wieso es diesen Geheimgang
gibt. Er muss sehr spät erbaut worden sein. Vielleicht sogar erst zur Zeit des
Bürgerkrieges. Wahrscheinlich wollten sich die Mönche in dieser
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