0180 - Sonderauftrag Maracaibo
Wohnzimmer auf der Couch, sahen sich nicht an und blickten nur immer wieder hinüber zu der großen Standuhr, die in eintöniger Monotonie ihr Pendel schwang.
»Ja, ein bisschen«, erwiderte Mrs. Rosega leise. »Immerhin habe ich siebzehn Jahre und etliche Monate mit ihm zusammengelebt.«
»Mit einem Gangster!«, sagte die Tochter scharf.
»Mit, nun ja, so nennt man es wohl.«
Die Tochter schwieg einen Augenblick. Schließlich öffnete sie den Mund und sprudelte alles heraus, was ihr in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen war.
»Ma, du würdest dich versündigen, wenn du ihn schützen würdest! Wir wissen doch jetzt, was er tut! Stell dir doch vor, was er für ein Unmensch sein muss, wenn er unschuldige Kinder ins Meer werfen lassen kann! Nur damit man ihm nicht beweisen kann, dass er Leute in die Staaten schmuggelt! Wir wären doch an jedem weiteren Mord schuldig, wenn wir ihn jetzt laufen ließen!«
Mrs. Rosega legte ihre Hand leicht auf den Arm ihres Kindes.
»Das habe ich mir auch schon alles gesagt, Delly. Und ich werde ja auch den Weg gehen, den ich nun einmal gehen muss. Aber es bedrückt mich trotzdem. Und du solltest auch nicht so sprechen. Er ist dein Vater.«
»Mein Vater«, wiederholte das Mädchen leise. »Ja, das ist er wohl. Aber ich habe ihn gehasst, seit ich denken kann. Oh, Ma, wenn du nicht gewesen wärst, ich wollte schon so oft aus dieser Hölle ausbrechen…«
Erschrocken zog Mrs. Rosega den Kopf ihrer Tochter an ihre Brust. Seltsam, dachte sie. Seit fünfzehn Jahren weiß ich, dass ich diesen Mann nie geliebt habe. Und seit fünfzehn Jahren habe ich diese Hölle ausgehalten, weil Delly doch nicht den Vater verlieren sollte. Und nun stellt sich heraus, dass sie es nur meinetwegen mit ihm ausgehalten hat.
Sie sprach begütigend auf das weinende Mädchen ein. Als es halb zwölf geworden war, sagte sie: »Delly, du musst jetzt ins Bett gehen. Ich werde gleich fahren.«
»Soll ich nicht mitkommen?«
»Aber nein! Schau, für mich ist doch gar keine Gefahr dabei. Ich selbst brauche gar nicht hinaus nach Sunset Beach. Mister Pitts, der FBI-Mann, hat irgendwoher eine FBI-Agentin kommen lassen, die ungefähr meine Frisur hat. Wir treffen uns in Sandy’s Inn. Sie wird meinen Mantel anziehen und den Koffer und meinen Wagen nehmen. Ich brauche dann nur zu warten, bis sie mir den Wagen zurückbringt.«
»Das ist gut«, sagte das Mädchen. »Das ist wirklich gut. Die FBI-Männer sind sehr tüchtig, glaube ich. Mister Cotton hat Ray damals vor dem elektrischen Stuhl gerettet, und er war auch ein G-man.«
Mrs. Rosega bemerkte den schwärmerischen Klang der Stimme wohl, aber sie sagte nichts dazu, sondern lächelte nur. Sie brachte ihr Kind hinauf ins Bett, warf schnell den Mantel über und griff nach dem Koffer.
Ein paar Minuten später betrat sie Sandy’s Inn. Das kleine, vornehme Lokal war nur noch schwach besetzt, sodass sie auf den ersten Blick die FBI-Agentin bemerkte, die ziemlich in der Nähe der Tür saß.
»Guten Abend«, sagte Mrs. Rosega leise und legte den Autoschlüssel auf den Tisch. »Der Koffer steht im Wagen.«
»Danke«, erwiderte Dorothy Seaster, die achtundzwanzigjährige FBI-Agentin, die erst vor wenigen Stunden mit dem Flugzeug angekommen war. »Sie können hier auf mich warten.«
Sie nahm den Mantel von Mrs. Rosega, schlüpfte hinein und verließ das Lokal. Ihre Fahrtroute war ihr gründlich eingeprägt worden, und sie fand sie trotz der Dunkelheit, ohne dass sie einmal in Zweifel geraten wäre.
Auch die Stelle, wo sie von der Straße abbiegen und zum Strand fahren sollte, war ihr genau beschrieben worden. Als sie ihren Posten erreicht hatte, hielt sie den Wagen an.
Nun konnte sie nichts anderes mehr tun als warten. Sie nahm ihr Zigarettenetui und steckte sich eine Zigarette an. Nicht weit von ihr rollten kleine Wellen am Strand aus. Ein paar Palmen raschelten leise in der schwachen Nachtbrise.
Unendlich langsam verging die Zeit. Aber es war noch nicht einmal ein Uhr, als sie plötzlich Leben am Strand entdeckte. Überallher erschienen plötzlich Männer, Stimmen gellten durch die Nacht, Scheinwerfer flammten auf, und eine gellende Polizeisirene heulte oben auf der Straße.
Sie zögerte, unentschlossen, ob sie gegen ihre Anweisungen die Tür öffnen und aussteigen sollte, aber da tauchte schon ein dunkles Gesicht neben ihrem Fenster auf.
»Hallo, Agent Seaster!«, sagte der Neger atemlos. »Ich bin Pitts. Sie können zurückfahren! Die Halunken haben uns
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