0189 - Im Schatten der Ratte
die Küche, um ein Abendessen zubereiten. Der Gangster holte die Jacke des Anzuges herein, den er in der Fabrik getragen hatte. Die Taschen waren vollgestopft mit Dollarnoten. Er packte sie auf den Tisch.
»Los, Bill, rück deine Scheine auch heraus. Wir werden Zusammenlegen müssen.«
Hunter trug als einziger noch seinen eigenen Anzug. Bis auf den unteren Teil seiner Hosen waren die Klamotten nicht sehr verschmutzt. Auch er leerte seine Taschen, und schließlich lag ein guter Teil der Watergap-Beute auf dem Tisch.
Dillinger schob dem Kumpan ein Bündel zu.
»Geh nach Stamford hinein und kaufe einen Wagen dafür. Nimm einen gebrauchten Schlitten. Das ist unauffälliger, aber lass dir keine Schrottkarre andrehen. Mit dem Wagen kommst du in aller Ruhe zurück. Du bist Anns Vetter, und das ist dein Wagen.«
»John, wenn man mich erkennt, dann…«
Dillinger packte Hunters Schultern und schüttelte ihn leicht.
»Niemand erkennt dich, Dummkopf, solange du dich nicht auffällig benimmst.«
Nach dem Abendessen, von dem mir Ann meinen Teil wieder zur Couch brachte, trollte sich Hunter. Er blieb fast zwei Stunden fort. Dann hörte man das Geräusch eines vorfahrenden Wagens. Kurz darauf wurde an die Tür geklopft. Hunter kam zurück.
»Alles klar?«, fragte Dillinger.
Bill Hunter nickte. »Ja, John, ich habe den Wagen.«
Er war sehr bleich und starrte Dillinger an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
Dillinger packte ihn auf den Jackenaufschlag und schüttelte ihn.
»Was hast du?«
»John«, stammelte Hunter, »überall klebt dein Bild. In der ganzen Stadt, an jeder Ecke, überall.... dein Bild. John, sie werden dich erwischen, wenn du nur den Fuß vor die Tür setzt.«
Mit Wucht stieß Dillinger ihn von sich. Hunter flog mit dem Rücken gegen einen Schrank.
»Nein«, schrie John Dillinger Nr. 2 wie ein Tier. »Sie werden mich nie erwischen. Nie, nie, nie!«
***
Es war Nacht. Die Vorhänge waren wieder vorgezogen. Ich lag auf der Couch, sorgfältig an Händen und Füßen zusammengebunden und verschnürt wie ein Paket.
Die Frau lag angekleidet auf der zweiten Couch im Zimmer. Sie lag reglos, aber ich erkannte an dem winzigen Widerschein des Lichtes, das sich in ihren Augen spiegelte, dass sie nicht schlief.
Das Licht, eine Nachttischlampe, die Dillinger Nr. 2 aus dem Schlafzimmer geholt hatte, stand auf dem Tisch. Er saß davor, den Kopf in die Hände gestützt. Die Maschinenpistole lag griffbereit quer auf der Tischplatte.
Auch der Gangster schlief nicht, obwohl er seit Stunden in dieser Stellung verharrte. Irgendein Gedanke schien ihn unablässig zu beschäftigen, denn seit seinem Ausbruch nach Hunters Rückkehr hatte er kein Wort mehr gesprochen.
Plötzlich nahm er den Kopf von den Händen und ließ die Arme sinken.
»Bill!«, schrie er.
Hunter hatte sich ins Schlafzimmer verzogen. Er stürzte herein, die Haare wirr im Gesicht, die MP in den Händen.
Dillinger war aufgesprungen. Er packte den Kumpan bei den Schultern.
»Bill, ich weiß, was wir tun müssen. - Setz dich!« Er drückte ihn auf einen Stuhl, setzte sich selbst auf die Tischplatte und sagte eindringlich: »Bill, es gibt doch Ärzte, die sich mit Gesichtsoperationen beschäftigen. Du weißt, ich meine die Burschen, die alte Frauen zu schönen Mädchen machen. Wir müssen uns den Richtigen aussuchen, und ich lasse mir von ihm ein anderes Gesicht verpassen.«
Das also hatte den Gangster seit Stunden beschäftigt: der Gedanke an sein Gesicht, das ganz Amerika kannte/ ein Gesicht, das es ihm nie mehr erlaubte, sich unter Menschen zu wagen. Er hatte, so gespenstisch es klingen mag, darüber nachgedacht, wie er sein Gesicht ändern könnte.
Hunter stammelte schlaftrunken: »Du willst dich einer Gesichtsoperation unterziehen? Glaubst du, du könntest einen Arzt kaufen?«
Dillinger legte eine Hand auf die Maschinenpistole: »Ja, damit!«
»John, das ist eine richtige Operation. Du wirst dich betäuben lassen müssen, und der Arzt kann alles mit dir machen, wenn du besinnungslos bist. Das ist nicht durchführbar.«
Der Gangster lachte. »Der Doc schneidet mir nicht die Kehle durch, wenn du mit einer Kanone in der Hand hinter ihm stehst! Du musst nur den Richtigen finden. Er muss allein mit seiner Familie in einem Haus wohnen, und er muss über einen eigenen Operationsraum verfügen. Am besten wäre es, du fändest einen Doc, der mit seiner Frau zusammenarbeitet. Es gibt doch junge Arztehepaare, bei denen die Frau als Narkoseschwester oder so
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