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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Menschen in Uniform war Frau Sedlazky leid.
    Neben Dachau wurde ein zweites großes KZ eröffnet – Buchenwald in unmittelbarer Nähe der Goethestadt Weimar. Frankfurt am Main, bisher durch die Adler-Werke als »Autostadt« bekannt und von den Nationalsozialisten zur »Stadt des deutschen Handwerks« gemacht, besann sich auf die Kultur und veranstaltete weiter die Römerberg-Festspiele, obwohl die ursprünglich von Alwin Kronacher initiiert worden waren, dessen Namen nicht mehr genannt werden durfte. Der verdiente Frankfurter Theaterintendant war wegen seiner »nichtarischen Herkunft« in Unehren entlassen worden.
    Mit leuchtenden Fackeln und prächtigem Fahnenschmuck wurde das Festival von 1937 am 1. Juli mit Gerhart Hauptmanns Tragödie »Florian Geyer« eröffnet. Im Publikum saß der weißhaarige, hoch verehrte Dramatiker, dem großen Frankfurter Dichtersohn Goethe erstaunlich ähnlich und eine beglückende Augenweide. Nur als Zaungast erlebte an drei Abenden eine aufgewühlte junge Frau den Höhepunkt der Aufführung – der schwarze Ritter stach »der deutschen Zwietracht mitten ins Herz«, und das Publikum stöhnte selig. Die junge Frau, die sich unter die freien Bürger der Stadt gemischt hatte, trug trotz der sommerlichen Witterung einen schlichten schwarzen Mantel. Sie glaubte immer noch, in der Nacht würden schwarze Büßergewänder den unschuldig Verfemten Schutz gewähren. Es handelte sich um Victoria Feuereisen, geborene Sternberg, die in ihren lodernden Jugendträumen überzeugt gewesen war, sie wäre zur Königin des Frankfurter Theaters geboren. Die Tränen, die sie nun vergoss, galten nicht der Tragödie des Bauernkriegs, die sich vor der historischen Kulisse des Frankfurter Römers entrollte. Im Strahl der Bühnenscheinwerfer sah Victoria allein die Tragödie ihres Lebens. Als ihre Hoffnungen sich im Bühnennebel auflösten und ihre Liebe verkümmerte, schaute sie beschämt zu Boden.
    Auch Claudette, die leidenschaftliche Schwimmerin, versuchte ein allerletztes Mal, sich ihrer demütigenden Fesseln zu entledigen. Am heißesten Tag des Sommers machte sich die Trotzige ins Stadionbad auf – mit Badeanzug und Handtuch, zwei Butterbroten und einer Flasche Limonade in einer Basttasche. Ihr Gang war beschwingt, als sie in die Straßenbahn stieg. Ihr Kopf gab vor, er wüsste nichts von den Restriktionen, die den Juden galten, und als dürfte ausgerechnet Fräulein Sternberg, die Verfolgte und Ausgeschlossene, der Jugend Lust nachgeben, in den Tag hineinzuleben und fröhlich zu sein.
    Jedoch bereits in der Garderobe, schon im Badeanzug, begegnete Claudette einer ehemaligen Mitschülerin. Deren Name fiel Claudette sofort ein, sie ließ sich das jedoch nicht anmerken. Hedwig Meister, vor einigen Monaten mit dem Zeugnis der Reife von der Schule entlassen und beim Bund Deutscher Mädel wiederholt für die kompetente Gestaltung der Heim- und Werkabende belobigt, durfte indes bekannt geben, was sie dachte. Das patriotische Fräulein Meister brauchte mit Erinnerung wahrlich nicht achtsam umzugehen. Klar, deutlich und drohend laut schmetterte die Linientreue: »Ich dachte, Juden dürfen nicht mehr in unsere Schwimmbäder. Ich werde mich sofort bei der Stadionleitung erkundigen.«
    Claudette kam bleich und weinend nach Hause. Ihren Badeanzug hatte sie in der Garderobe vom Stadionbad liegen lassen, die Basttasche mit den Broten und der Limonadenflasche in der Straßenbahn. Sie war so verwirrt in ihrem Schock, dass sie noch nicht einmal die Wohnungstür hinter sich schloss, ehe sie im Detail erzählte, was ihr widerfahren war. Ihre Mutter und ihr Onkel waren fassungslos und so wütend, wie Claudette sie noch nie erlebt hatte. »Wenn du nicht auf der Stelle kapierst, dass Juden keine Menschen mehr sind, bringst du uns alle in Gefahr, du blöde Gans«, brüllte Erwin. »Vielleicht solltest du mal bei Doktor Meyerbeer nachfragen, wie es in einem deutschen Gefängnis zugeht und wie lange dein Großvater das aushalten kann.«
    »Lass sie«, mahnte Clara. Sie war ungewöhnlich sanft und selbst erschrocken. »Ich glaube, diesmal hat’s Claudette begriffen.«
    Anfang August kam ein Brief aus Pretoria mit einem Foto von Leon vor dem Bahnhof und zwei Bildern von einer strahlenden Alice. Einmal hielt sie das Baby ihrer Gastfamilie auf dem Arm, auf dem zweiten Foto stand sie mit ihrem Bräutigam und einem Riesenhund vor einem mannshohen Kaktus. Alice schrieb, sie und Leon wollten im September heiraten – unmittelbar vor den

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