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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Prachtmensch mit seiner Gattin zum Vierwaldstätter See im Frankfurter Stadtwald radeln und sie abends in die Alemannia-Lichtspiele an der Hauptwache führen. Dort war Platz für achthundert Zuschauer. Im eleganten Foyer waren vier Pfeiler, die mit Metallrahmen und mattem Glas als Leuchtkörper gestaltet waren. Anna war erst zweimal in diesem eindrucksvollen Kinoparadies gewesen, als Johann Isidor und Madame Betsy nach dem großen Umbau mit sämtlichen Honoratioren der Stadt zur feierlichen Wiedereröffnung geladen worden waren.
    Anna wünschte sich ein Häuschen im dörflichen Frankfurter Vorort Seckbach. Der Garten sollte groß genug für drei Kinder sein, eine Dogge, wie sie Bismarck gehabt hatte, und eine gescheckte Katze, die ja allgemein als Glücksbringerin galt. Sie wollte ihren Mann bitten, vor dem mächtigen Apfelbaum eine Bank aufzustellen und sie grün anzustreichen. An sonnigen Tagen wollte die Hausfrau dort ihre Erbsen pulen und nach getaner Arbeit Socken für den Winter stricken.
    Victoria, die sich noch nicht einmal vorstellen mochte, sie würde je heiraten, geschweige denn Kinder bekommen, war eine besonders aufmerksame Zuhörerin, wenn die beiden ungleichen Halbschwestern einander Zukunft ausmalten. Trotzdem schloss sie meistens die Augen, als könnte sie die Bilder vom bürgerlichen Glück nicht ohne Schmerz ertragen. Mit einem kleinen Seufzer, der dem von Maria Stuart in Gefangenschaft entsprach, wenn sie in ihrem Kerker an das schöne Leben in Frankreich zurückdachte, und der bei Victoria ebenso herzzerbrechend ausfiel, sagte sie: »Meine kleine Spießerin in der Kittelschürze.«
    Auch Anna kannte ihren Text. »Bei Spießern weiß man doch wenigstens, woran man ist«, hatte sie zu antworten, worauf sie und Victoria so unbefangen lachten, als wäre der kleine Sketch tatsächlich nur ein Spiel mit Worten gewesen.
    Gerade Victoria, die ganz sicher war, dass bald die berühmtesten Theaterintendanten Deutschlands mit langfristigen Verträgen vor ihrer Tür Schlange stehen und sich ihretwegen duellieren würden, schätzte hin und wieder die harmlosen Spiele ihrer Kindertage. Noch mehr schätzte sie es allerdings, dass sie ihrer Lust an kleinen Bosheiten nachgeben konnte, ohne dass das Opfer ihrer spitzen Zunge sich getroffen fühlte. Anna war schon immer die ideale Partnerin gewesen – sie nahm nicht übel, war leicht zu beeindrucken, nie eifersüchtig, und sie kannte ihre Grenzen.
    Ihrerseits bewunderte Anna ihre souveräne, aparte, großtuerische Schwester. Selbst deren Sarkasmus fand sie chic. Aus der koketten kleinen Vicky mit dem frühreifen Charme, dem weder Frau, Mann noch Kind hatten widerstehen können, war eine Schönheit mit langen Beinen und markantem Profil geworden. Fünfzehnjährige Jungen und würdevolle Familienväter wurden scharlachrot, wenn sie sich von Victoria Sternberg angeschaut glaubten. Alte Herren mit Rheuma gingen in die Knie, um das Taschentuch der Schönen vor rohen Füßen zu retten, und aus ihren Taschen fielen ständig altmodische Spitzentüchlein oder ebenso altmodische duftende Briefkuverts – genau wie in den Lustspielen aus der Biedermeierzeit. Die junge Sternberg, die sich vorgenommen hatte, so berühmt wie Sarah Bernhardt zu werden und so umschwärmt wie Josephine Baker, sah bei jedem Blick in den Spiegel eine Königin.
    Der Schwester aus der anderen Welt imponierte nicht nur Victorias Schönheit, sondern noch mehr deren Besessenheit und Energie. Mochten ihr König, Bauer und Bettelmann mit Stentorstimme und Tag für Tag von dem Weg abraten, den sie zu gehen gedachte, sie verstopfte ihre hübschen kleinen Ohren mit schlanken, gepflegten Händen, an denen links ein Rubin und rechts eine goldene Schlange mit Augen aus Smaragd glänzten. Fräulein Sternberg wusste sich zur Schauspielerin geboren. Sie sah sich, ehe man sie nach Berlin holte, in ihrer Heimatstadt auf der Bühne stehen, mit Lorbeer bekränzt, auf Rosen gebettet und mit jubelnden Kritiken bedacht. Ihr Vater, der in den Augen der klugen Tochter von nichts wusste, was die Welt zusammenhielt, und der folglich Schauspieler als fahrendes Volk ablehnte, vor dem man die Wäsche schützen musste, würde mit feuchten Augen in der ersten Reihe sitzen. Auch die Mutter, diese skeptische Frau, die vom Denken ihrer Vorfahren nicht loskam und die sich nichts anderes als gut verheiratete Töchter wünschte und Schwiegersöhne, die ihr Ehre machten, würde ihre Tränen laufen lassen, wenn Victoria als blonde Ophelia

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