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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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1
    In dem kleinen Pavillon am Waldesrande, den sie seit nun bald einem Monat bewohnten, machte sich Mathieu diesen Morgen in Eile fertig, um in Janville den Siebenuhrzug zu erreichen, der ihn jeden Tag nach Paris zurückbrachte. Es war bereits halb sieben, und Janville war gute zwei Kilometer von dem Pavillon entfernt. Die Fahrt nach Paris dauert drei Viertelstunden, und weitere drei Viertelstunden mindestens nahm der Weg vom Nordbahnhofe nach dem Boulevard de Grenelle in Anspruch, so daß er kaum je vor halb neun Uhr sein Bureau in der Fabrik erreichte.
    Er hatte eben die Kinder geküßt, die glücklicherweise noch schliefen; denn wachend ließen sie ihn vor Umarmungen, Küssen und Lachen kaum fortkommen. Und er trat nun eilig wieder ins Schlafzimmer, wo er seine Frau, Marianne, noch im Bette, aber wach und halbsitzend fand. Sie hatte eine Gardine aufgezogen, und der herrliche Maimorgen flutete herein, die gesunde und frische Schönheit ihrer vierundzwanzig Jahre in einer Welle frühlichen Lichtes badend. Er war um drei Jahre älter als sie, und er betete sie an.
    »Also, mein Schatz, ich eile, sonst versäume ich den Zug. Sieh zu, daß du dich einrichtest, du hast noch dreißig Sous, nicht wahr?«
    Sie lachte, reizend mit ihren nackten Armen und ihrem aufgelösten prachtvollen braunen Haar. Die fortwährende Knappheit ihres jungen Haushaltes nahm ihr nichts von ihrem Mut und ihrer Lebensfreude, die mit siebzehn Jahren den Zwanzigjährigen geheiratet hatte, und nun bereits für vier Kinder zu sorgen hatte.
    »Heute ist ja der Letzte, und du bekommst ja abends dein Gehalt. Morgen werde ich die kleinen Schulden in Janville bezahlen. Mir ist übrigens nur die Schuld bei den Lepailleur für Milch und Eier unangenehm, denn die Leute glauben immer, man will sie um ihr Geld bringen. – Dreißig Sous, mein Schatz! Aber da können wir ja liederlich sein!«
    Immer noch lachend, streckte sie ihm ihre festen weißen Arme entgegen, um wie alle Morgen von ihm Abschied zu nehmen.
    »Geh nun, da du Eile hast. Ich erwarte dich abends an der kleinen Brücke.«
    »Nein, nein, ich will, daß du schlafen gehst! Du weißt, daß ich heute, wenn ich nicht etwa auch noch den Dreiviertelelfuhrzug versäume, nicht vor halb zwölf in Janville eintreffe. Das wird ein hübscher Tag heute! Ich habe den Morange versprechen müssen, bei ihnen zu Mittag zu essen, und am Abend bewirtet Beauchêne einen Kunden, ein Geschäftsdiner also, bei dem ich mittun muß. Also sei ein braves Kind und leg dich schön schlafen, ohne mich zu erwarten.«
    Sie nickte leicht mit dem Kopfe, ohne sich zu etwas zu verpflichten.
    »Und vergiß nicht,« sagte sie dann, »beim Hauseigentümer vorzusprechen und ihm zu sagen, daß es ins Kinderzimmer hineinregnet. Wenn diese Séguin du Hordel, diese Millionäre, uns für diese miserable Hütte sechshundert Franken jährlich abnehmen, so folgt daraus noch nicht, daß wir uns müssen durchnässen lassen, als ob wir auf freiem Felde kampierten.«
    »Richtig, das hätte ich vergessen! Ich gehe bestimmt hin.«
    Aber nun war er es, der sein Fortgehen verzögerte, sie in den Armen haltend. Wieder lachte sie fröhlich und erwiderte herzhaft seine kräftigen, schallenden Küsse. Zwischen ihnen bestand eine starke Liebe der blühenden Gesundheit, die Freude der innigen und vollkommenen Vereinigung, des Bewußtseins, ein Leib und eine Seele zu sein.
    »Geh nun, geh nun, mein Schatz! – Und höre, vergiß nicht, Constance zu sagen, daß sie, ehe sie aufs Land geht, auf einen Sonntag mit Maurice zu uns kommen sollte.«
    »Gut, gut, ich werde es ihr sagen. Also, auf heute abend, Schatz.«
    Er kehrte wieder um, schloß sie kräftig in seine Arme und drückte ihr einen langen Kuß auf den Mund, den sie aus ganzem Herzen erwiderte. Dann eilte er fort.
    Gewöhnlich bestieg er am Nordbahnhofe den Omnibus. Aber an den Tagen, wo es nicht mehr als dreißig Sous im Hause gab, machte er den Weg rüstig zu Fuß. Es war übrigens ein schöner Weg: durch die Rue de Lafayette, an der Oper vorbei, über die großen Boulevards, die Rue Royale; dann Place de la Concorde, Cours de la Reine, den Pont de l’Alma und den Quai d’Orsay.
    Die Beauchênesche Fabrik lag ganz am Ende des Quai d’Orsay, zwischen der Rue de la Fédération und dem Boulevard de Grenelle. Sie bedeckte ein großes, rechtwinkliges Terrain, dessen eine Ecke, am Quai, von einem schönen Wohnhause eingenommen wurde, einem Hotel mit Ziegel und Steinfassade, das Léon Beauchêne, der

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