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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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und traf in Cundall als Lehrer und »genau der richtige Bursche« ein.
    War ich jetzt ein so viel anderer Mensch als der diebische und betrügerische kleine Scheißer, der während der vergangenen zehn Jahre seiner Familie nichts als Qualen bereitet hatte? Waren die Wutanfälle, die Verlogenheit und die Begierde verflogen? Die Leidenschaft verpufft, die Gier gesättigt? Ich nahm an, dass ich wahrscheinlich nie wieder stehlen würde. Ich war inzwischen erwachsen genug, um zu wissen, worauf es ankam – zu arbeiten und Verantwortung für mich zu übernehmen. All die erwachsenen Stimmen, die mir ins Ohr gebrüllt hatten (Denk nach, Stephen. Gebrauch doch mal deinen gesunden Menschenverstand. Arbeite. Konzentriere dich. Nimm Rücksicht auf andere Menschen. Denk nach, Denk, denk,
denk!
), schienen endlich Gehör gefunden zu haben. Mir stand ein ehrliches, geordnetes, achtbares und langweiliges Leben bevor. Ich hatte mir die Hörner abgestoßen, und es wurde Zeit, weise zu werden.
    So stellte ich es mir jedenfalls vor.
    Ich blieb immer noch Raucher. Aber um meiner neuen Rolle als Lehrer zu entsprechen, hatte ich mich von selbstgedrehten Zigaretten auf Pfeife umgestellt. Mein Vater hatte während meiner gesamten Kindheit Pfeife geraucht. Sherlock Holmes, den ich so verehrte, dass er zum direkten Grund meiner Relegation von Uppinghamwurde † , war der prominenteste Pfeifenraucher von allen. Für mich war eine Pfeife Symbol für Arbeit, Nachdenken, Vernunft, Selbstkontrolle, Konzentration (»Dies ist durchaus ein Drei-Pfeifen-Problem, Watson.«), Reife, Verständnis, Einsicht, intellektuelle Stärke, Männlichkeit und moralische Integrität. Mein Vater und Holmes besaßen all diese Eigenschaften, und ich wollte mir und meiner Umgebung beweisen, dass ich sie ebenfalls mein Eigen nannte. Ein weiterer Grund, sich für die Pfeife zu entscheiden, bestand vermutlich darin, dass ich in Cundall Manor, der Prep School in Yorkshire, in der mir eine Stelle als Assistenzlehrer angeboten worden war, altersmäßig den Jungen näher stand als den anderen Mitgliedern des Kollegiums und daher das Gefühl hatte, ich müsse meine äußere Erscheinung so gestalten, dass ich zweifelsfrei als Erwachsener wahrgenommen wurde: Eine Briar-Pfeife und ein Tweedjackett mit Lederbesatz auf den Ellenbogen schienen diesem Anliegen perfekt entgegenzukommen. Die Tatsache, dass ein schlaksiger, Pfeife rauchender Jüngling in der Spätphase seiner Adoleszenz wie ein aufgeblasener und wichtigtuerischer Vollidiot aussieht, kam mir nicht in den Sinn, und die Menschen um mich herum waren zu höflich, um mich darauf hinzuweisen. Die Jungs nannten mich »Towering Inferno«, aber mein Habitus wurde nicht in Frage gestellt, vielleicht auch deswegen, weil der Schulrektor ebenfalls Pfeifenraucher war.
    Ich brauchte mich immer noch nicht zu rasieren, und die Haartolle, die ich bis zum heutigen Tag nicht habe bändigen können, unterminierte anhaltend mein Bedürfnis, Reife auszustrahlen. Eher Schlaffi als Schulmeister und eher Milchbubi als Machomann, wandelte ich schmauchend und milde gesonnen übers Schulgeländeund fühlte mich glücklicher als je zuvor in meinem jungen Leben.
    Abgesehen davon war die erste Woche die reine Hölle gewesen. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass die Lehrtätigkeit so aufreibend sein könnte. Meine Pflichten, wie ein Diener es vielleicht ausdrücken würde, waren umfangreich: Ich musste nicht nur lehren und im Klassenraum Ordnung halten, sondern auch den Unterricht vorbereiten, schriftliche Arbeiten korrigieren und zensieren, Nachhilfeunterricht geben, andere Lehrer vertreten und für jeden und alles vom Morgenläuten vor dem Frühstück bis zum abendlichen Löschen des Lichts ständig auf Abruf zur Verfügung stehen. Da ich in der Schule wohnte und keine ehelichen Bindungen in die Außenwelt hatte, konnten der Rektor und andere leitende Kollegiumsmitglieder mich ganz nach Gutdünken zum Eigengebrauch nutzen. Ich war augenscheinlich als Vertretung für Noel Kemp-Welch eingestellt worden, einen netten und sanftmütigen alten Kollegen, der zu Anfang des Semesters auf dem Eis ausgeglitten war und sich das Becken gebrochen hatte. Daher bestand meine Arbeit hauptsächlich darin, seine Unterrichtsstunden in Latein, Griechisch und Französisch zu übernehmen, aber schon sehr bald musste ich erleben, dass von mir verlangt wurde, den Rektor und andere Mitglieder des Kollegiums in den Fächern Geschichte, Geographie, Mathematik und anderen

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