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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Umschweife an, wie es nur junge Menschen können. Wir kamen gar nicht mehr auf die Idee, anders als gemeinsam Partys oder Veranstaltungen zu besuchen.
    »Bist du schwul«, fragte ich ihn schon ziemlich bald.
    »Sagen wir mal, ich weiß, was mir gefällt«, lautete seine spröde und nebulöse Antwort.
    Außer seiner Beschlagenheit in Latein und Griechisch verfügte Kim über eine weitere Fertigkeit, die er mit einer solchen Brillanz ausübte, dass er mir übermenschlich erschien. Er war Schachmeister. In Bolton hatte er mit Nigel Short gespielt und war teilweise auch dessen Mentor gewesen. Short war bereits bekannt als das außergewöhnlichste Talent, das England je hervorgebracht hatte. Im Alter von zehn hatte er den großen Wiktor Kortschnoi geschlagen und war jetzt mit vierzehn auf dem besten Weg, der jüngste Internationale Meister der Geschichte zu werden. Kim war nur »Meister«, was aber bedeutete, dass er in der Lage war, blind zu spielen, und ich wurde nicht müde, ihn zu bedrängen, mir diese Kunst vorzuführen. Ohne das Schachbrett zu sehen, vermochte er alle Herausforderer vernichtend zu schlagen.
    Als ich ihn zum ersten Mal dabei erlebte, fiel mir ein Thema ein, das ich mit ihm besprechen wollte.
    »Kim«, sagte ich, »ich weiß noch, als wir uns bei einer dieser Sherry-Partys begegnet sind, haben wir in einem der Räume des Deans ein Schachbrett gesehen, und ich wollte von dir wissen, ob du Schach spielst.«
    »Ja.«
    »Und weißt du noch, was du geantwortet hast?«
    Kim zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ich glaube nicht.«
    »Du hast geantwortet: ›Sagen wir mal, ich kenne die Züge.‹«
    »Na ja, tue ich auch.«
    »Du kennst ein bisschen mehr als nur die Züge«, sagte ich.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich will damit sagen, wenn du auf diese Weise jemandem antwortest, der dich fragt, ob du Schach spielst, wie soll ich es interpretieren, wenn du auf die Frage ›Bist du schwul?‹ mit den Worten ›Sagen wir mal, ich weiß, was mir gefällt‹ reagierst?«
    Kims Familie war wohlhabend, und sie überhäuften ihren Sohn mit allen erdenklichen Luxusartikeln einschließlich einer Stereoanlage von Bang & Olufsen, auf der Kim seine Wagner-Platten abspielte. Und zu Wagner sang. Und Wagner dirigierte. Und Wagner lebte.
    Ich war in jungen Jahren ebenfalls Wagners Musik verfallen, aber in die Mysterien des Gesamtwerks nicht eingedrungen. Abgesehen von allem andern hätte ich mir die großen Box-Sets auch finanziell gar nicht leisten können. Ebenso wie
Lohengrin
und
Die Meistersinger
sowie einen oder zwei
Parsifal
besaß Kim zwei vollständige Schallplattenaufnahmen des
Ring
-Zyklus: Karl Böhms Liveaufnahme aus Bayreuth, und die hervorragende Decca-Studioproduktion des »Solti«
- Rings
. Jeder weiß, wie gelangweilt und unruhig Menschen werden können, wenn über Wagner geredet wird, und daher werde ich mich nicht in aller Breite über ihn auslassen. Es sei nur gesagt, dass Kim meine wagnerianische Bildung vervollständigte, und allein dafür werde ich mein Leben lang dankbar sein.
    Er und ich und ein Freund von ihm aus Bolton namens Peter Speak, der Philosophie studierte, pflegten beieinander zu sitzen und die Meisterwerke des späten 19. Jahrhunderts zu entdecken, über die wir in Ekstase verfielen. Strauss, Schönberg, Brahms, Mahler und Bruckner waren unsere Götter, und Kims B & O war unser Tempel.
    Angesichts dessen, dass in Großbritannien anarchistische Post-Punk-Kreativität brodelte, eine Vielzahl von Streiks zu politischen Spannungen geführt hatte und Margaret Thatcher an die Spitze der Conservative Party gewählt worden war, angesichts der Tatsache, dass sich auf den Straßen der Abfall türmte, Leichname nicht beigesetzt wurden und die Inflation in die Höhe schnellte – dass also angesichts all dessen in Cambridge eine Clique in Tweed gekleideter Halberwachsener verzückt den Zauber von Strauss’
Metamorphosen
und von Schönbergs
Verklärte Nacht
genießt, scheint doch … scheint doch was? Wohl absolut legitim zu sein. Völlig im Einklang mit dem, was Bildung sein soll. Bildung ist die Summe dessen, was die Studenten einander zwischen Vorlesungen und Seminaren beibringen. Man sitzt zusammen, mal bei dem einen, mal bei dem anderen, und trinkt Kaffee – ich nehme an, heutzutage wird es wohl eher Wodka und Red Bull sein – und teilt Begeisterung, redet eine Menge Stuss über Politik, Religion, Kunst und den Kosmos, und geht anschließend zu Bett, allein oder zusammen, je nach Lust und

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