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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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der Wahrheit entsprach und wie viel einer Mischung aus seinem typischen Übertreibungseifer und nachzuvollziehendem Stolz des Sohnes auf den Vater entsprang. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich hatte weder von dem Musical gehört noch von seiner Titelmelodie. Natürlich kannte ich »The Lambeth Walk«. Der Song zählt zu den berühmtesten aller Zeiten, ist ein Ohrwurm, wie man auf Deutsch sagt, ein »ear worm«, dersich bereits nach einmaligem Hören ins Gehirn bohrt und nicht wieder loszuwerden ist. Eigentlich hatte ich den Titel immer für einen Folksong gehalten, der auf einer uralten Melodie basierte, die über Generationen weitergegeben worden war. Ganz sicher wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ein Kirchenorganist sie in den dreißiger Jahren komponiert hatte.
    Noel Gay hatte seinen Sohn Richard nach Eton geschickt, von wo aus er wie sein Vater nach Cambridge gegangen war. 1950 gründete der junge Richard Armitage die Firma Noel Gay Artists, eine Talentagentur, deren Ziel es war, den Noel-Gay-Musikverlag seines Vaters und dessen Produktionen zu fördern, indem man Sänger und Sängerinnen fand, die das Material von Noel Gay interpretierten oder aufführten. Nach sechs oder sieben Jahren, als der »Satire-Boom« losging, streckte Richard seine Fühler in die neue Welt der »Graduate Comedy« aus und machte es sich zur Gewohnheit, jedes Jahr einmal in Cambridge die Netze nach jungen Comedy-Könnern auszuwerfen. Schon stand David Frost auf seiner Klientenliste, dann folgten John Cleese und andere. In den späten Siebzigern, in einem ungestümen anarchischen Ausbruch von Originalität, blickte er nach Westen und holte sich in Oxford Rowan Atkinson und Howard Goodall. 1981 war er dann zurück in Cambridge und hatte sich Emma Thompson, Hugh Laurie, Paul Shearer, Tony Slattery und mich geschnappt.
    Wie er mir sagte, stellte Richard jetzt mit Mitte fünfzig fest, dass er immer häufiger auf den Anfang zurückschaute. Das alles war sehr interessant, und es rührte mich, dass jemand, der normalerweise so schroff war, so altmodisch und zugeknöpft, was persönliche Dingebetraf, mir die wahre Geschichte seines Vaters und der Gründung von Noel Gay Artists anvertraute. Abwechselnd nickte ich oder schüttelte den Kopf in der Hoffnung, damit zu demonstrieren, wie sehr ich die Ehre zu schätzen wusste, die er mir erwiesen hatte, und dann ging ich dazu über, mit diskreten Gesten unterdrückten Gähnens anzudeuten, dass ich reif für Bad, Bett und Buch war.
    »Das alles bringt mich nun«, sagte Richard, sich für die Nichtbeachtung der Andeutungen entscheidend, »zu meinem Anliegen.«
    »Anliegen?«
    Richard nestelte an den Laschen seiner alten, ledernen Aktentasche. »Hier, nehmen Sie.«
    Er händigte mir ein dickes Typoskript auf dem Kanzleipapier Foolscap aus. Für diejenigen, die noch keine vierzig sind: Foolscap war ein englisches Briefpapierformat, das dem inzwischen europaweit verbreiteten DIN-A4-Standard vorausging.
    Ich sah mir den Stapel näher an. Rostflecken, verursacht von den Heftern, zierten die Titelseite, aber der doppelt unterstrichene Titel war deutlich genug. »Oh«, sagte ich, »
Me and My Girl!
Etwa das Originalskript?«
    »Um genau zu sein«, sagte Richard, »handelt es sich um das Exemplar, das aus dem Zensurbüro Lord Chamberlains zurückkam. Es gibt eine Acting Edition von French, aber was Sie in Händen halten, ist, soweit ich weiß, die Version, die dem Originaltext, so wie er im Victoria Palace aufgeführt wurde, am nächsten kommt. Ich hätte gern, dass Sie sie lesen. Und dann hätte ich gern, dass Sie in Betracht ziehen, eine neue Fassung zu schreiben.«
    Ich schleppte mich nach oben und las das Typoskriptnoch in der Nacht. Es war fast unmöglich zu verstehen. Der Held war ein Cockney-Straßenhändler namens Bill Snibson, der sich als rechtmäßiger Erbe einer Grafschaft erweist. So viel konnte ich mir zusammenreimen. Bill trifft in Hareford Hall ein, dem Sitz der Vorfahren, um in den ererbten Stand zu treten, und wird in einer Abfolge rätselhafter Szenen abwechselnd von einem aristokratischen Vamp verführt, über seine Familiengeschichte aufgeklärt und von Nichtsnutzen aus seiner Vergangenheit umlagert, die ihn schröpfen wollen. Der Faden, der sich durch all das zieht, sind seine Anstrengungen, nur nicht seine Sally zu verlieren, das Mädel aus dem Titel. Sie ist eine echte Cockney mit edlem Herzen, und
au fond
ist er das nicht minder.
    Ich spreche von »fast unmöglich« zu

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