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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Oder, schlimmer noch, achtet auf den Ton der
Straße
, den sie mit gekünsteltem Akzent zu treffen suchen. Für wen halten sie sich eigentlich, wer, meinen sie eigentlich, wer verdammt noch mal, sie sind? Aus dem Weg mit diesen Ärschen!
    Nun. Richtig. Aber stellen Sie sich einen Moment lang vor, dass diese bescheuerten Schaumschläger auch nur junge Männer und Frauen mit eigenem Leben und eigenen Gefühlen sind wie jeder andere, wie Sie und ich. Stellen Sie sich vor, dass sie genauso ängstlich und unsicher und hoffnungsvoll und naiv sind wie Sie und ich. Stellen Sie sich vor, dass die unmittelbare Verachtungund Aversion vielleicht mehr über den Betrachter aussagen als über die Betrachteten. Dann treiben Sie die Vorstellung noch etwas weiter. Stellen Sie sich vor, dass so gut wie alle Studenten, die frisch an einem Ort wie Cambridge eingetroffen sind, exakt dieselben Gefühle von Abneigung, Misstrauen und Furcht verspürt haben, als sie sich von den lässigen Studenten aus dem zweiten oder dritten Jahrgang umgeben sahen, die entspannte Selbstsicherheit ausstrahlten und durch ein überlegenes Auftreten beeindruckten, das auf Selbstbewusstsein und Zugehörigkeitsgefühl gründete. Stellen Sie sich vor, dass auch diese nervösen Neuankömmlinge ihre Unzulänglichkeitsgefühle zu kompensieren versucht hatten, indem sie sich entschieden, durch alle anderen »hindurchzusehen« und zu glauben, sie seien ausschließlich von bedauernswerten Blendern umgeben. Und stellen Sie sich zum Schluss vor, dass sie sich irgendwann, ohne es zu bemerken, an diesem Ort assimilierten und so heimisch wurden, dass sie jetzt diejenigen sind, die dem Außenseiter wie arrogante Wichser vorkommen. Sie können mir glauben, wenn ich behaupte, dass sie im Inneren noch immer schrumpfen und schrumpeln wie eine mit Salz bestreute Schnecke. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich war einer von ihnen, genau wie Sie es ebenfalls gewesen wären.
    Es stimmt, dass ich Stipendiat war. Es stimmt, dass ich älter war als meine Kommilitonen im ersten Studienjahr. Es stimmt auch, dass ich größere Erfahrung in der »realen Welt« (was immer das heißen soll) hatte als die meisten. Wahr ist auch, dass ich im Gegensatz zu einer verblüffenden Anzahl anderer, die ihr Universitätsstudium begannen, schon lange daran gewöhnt war, von zu Hause fort zu sein, denn schließlich hatte manmich ja schon mit sieben zum ersten Mal ins Internat gesteckt. Es stimmt darüber hinaus auch, dass ich nach außen ein sicheres Auftreten an den Tag legte und über eine tiefe, volltönende Stimme gebot, die klang, als gehörte ich an diesen Ort wie die hölzerne Täfelung, der geschorene Rasen und die Pförtner mit ihren Bowler-Hüten. All das räume ich durchaus ein, aber es ist sehr wichtig, dass Sie nichtsdestoweniger verstehen, wie verängstigt ich innerlich war. Sehen Sie, ich lebte in bibbernder Furcht davor, jeden Moment
entlarvt
zu werden. Nein, es ging nicht um meinen Status als verurteilter Krimineller auf Bewährung, den ich geheimhalten wollte, noch um meine Vergangenheit als Dieb, Lügner, Fälscher und Knastbruder. Meinetwegen hätten diese unbequemen Wahrheiten übers Radio verbreitet werden können, ebenso wie meine sexuelle Orientierung, meine ethnische Zugehörigkeit oder dergleichen sonst. Nein, der Terror, der sich während jener ersten Wochen in Cambridge meiner bemächtigte, betraf nichts als die Besorgnis um meine intellektuelle Berechtigung, überhaupt dort zu sein. Ich litt unter der Todesfurcht, dass jemand auftauchen und mich vor einer Menge spöttischer Zuschauer nach meiner Meinung zu Lermontow, der Superstringtheorie oder gar dem kategorischen Imperativ von Kant fragen könnte. Ich würde Ausflüchte machen und auf meine gewohnte Weise plausibel schwadronieren, aber hier in Cambridge würden diese Tricks meinen unerbittlichen und (in meiner Vorstellung) hämisch boshaften Inquisitor nicht beeindrucken, sondern er würde mich nur mit seinen Luchsaugen fixieren und dann mit schroffer Stimme, in der höhnisches Lachen mitschwingt, fragen: »Entschuldigen Sie, aber wissen Sie überhaupt, wer Lermontow ist?« Oder Rilkeoder Hayek oder Saussure oder sonst ein anderer Name, den ich noch nie gehört hatte, so dass meine Ignoranz die entsetzliche Oberflächlichkeit meiner sogenannten Bildung entlarvte.
    Jeden Moment könnte ans Licht kommen, dass ich zu Unrecht mit einem Stipendium belohnt worden war, dass es eine Verwechslung bei den Prüfungspapieren gegeben

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