02 - Winnetou II
Ausnahmegesetz zu greifen, ist ein sicherer Beweis, welche außerordentliche Gefahr sowohl für den Einzelnen wie für die ganze Nation in dem Treiben der Kukluxer lag. Der Klan wurde nachgerade zu einem infernalischen Abgrund, in welchem sich alle umstürzlich gesinnten Geister zusammenfanden. Einer der geistlichen Herren, welcher von der Kanzel geschossen wurde, hatte nach der Predigt für das Seelenheil einer Familie gebetet, deren Glieder bei hellem Tag von den Kukluxern ermordet worden waren. In seinem frommen Eifer und auch ganz der Wahrheit gemäß bezeichnete er das Treiben des Klans als einen Kampf der Kinder des Teufels gegen die Kinder Gottes. Da erschien auf der gegenüberliegenden Empore eine vermummte Gestalt und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf. Ehe die erschrockene Gemeinde sich von ihrem Entsetzen zu erholen vermochte, war dieser Teufel verschwunden.
Als unser Steamboot in La Grange anlangte, war es Abend geworden, und der Kapitän erklärte uns, daß er wegen der im Flußbett drohenden Gefahren für heute nicht weiter dampfen könne. Wir waren also gezwungen, in La Grange auszusteigen. Winnetou ritt vor uns über die Planke und verschwand zwischen den anstehenden Häusern im Dunkel der Nacht.
Auch in La Grange stand der Commissioner bereit, die Interessen des Schiffseigners zu versehen. Old Death wendete sich sofort an ihn:
„Sir, wann ist das letzte Schiff aus Matagorda hier angekommen, und stiegen alle Passagiere aus?“
„Das letzte Schiff kam vorgestern um dieselbe Zeit an und alle Passagiere gingen an Land, denn der Steamer fuhr erst am andern Morgen weiter.“
„Und Ihr wart hier, als früh wieder eingestiegen wurde?“
„Ganz natürlich, Sir.“
„So könnte Ihr mir vielleicht Auskunft erteilen. Wir suchen zwei Freunde, welche mit dem betreffenden Steamer gefahren und also auch hier geblieben sind. Wir möchten gern wissen, ob sie dann früh die Fahrt fortgesetzt haben.“
„Hm, das ist nicht leicht zu sagen. Es war so dunkel, und die Passagiere drängten so von Bord, daß man dem einzelnen gar keine besondere Aufmerksamkeit schenken konnte. Wahrscheinlich sind die Leute frühmorgens alle wieder mitgefahren, einen gewissen Master Clinton ausgenommen.“
„Clinton? Ah, den meine ich. Bitte, kommt einmal her zu Eurem Licht! Mein Freund wird Euch eine Photographie zeigen, um zu erfahren, ob es die Master Clintons ist.“
Wirklich erklärte der Commissioner mit aller Entschiedenheit, daß es diejenige des Mannes sei, den er meine.
„Wißt Ihr, wo er geblieben ist?“ fragte Old Death.
„Genau nicht; aber sehr wahrscheinlich bei Señor Cortesio, denn dessen Leute waren es, welche die Koffer holten. Er ist Agent für alles, ein Spanier von Geburt. Ich glaube, er beschäftigt sich jetzt mit heimlichen Waffenlieferungen ins Mexiko hinein.“
„Hoffentlich lernt man in ihm einen Gentleman kennen?“
„Sir, heutzutage will jeder ein Gentleman sein, selbst wenn er seinen Sattel auf dem Rücken trägt.“
Das galt natürlich uns beiden, doch war die Stichelei nicht bös gemeint. Darum fragte Old Death in ungeminderter Freundlichkeit weiter:
„Gibt es hier in diesem gesegneten Ort, wo außer Eurer Laterne kein Licht zu brennen scheint, ein Gasthaus, in welchem man schlafen kann, ohne von Menschen und andern Insekten belästigt zu werden?“
„Es ist nur ein einziges da. Und da Ihr so lange hier bei mir stehen geblieben seid, so werden die andern Passagiere Euch zuvorgekommen sein und die wenigen vorhandenen Räume in Beschlag genommen haben.“
„Das ist freilich nicht sehr angenehm“, antwortete Old Death, der auch diese Stichelei überhörte. „In Privathäusern darf man wohl keine Gastfreundschaft erwarten?“
„Hm, Sir, ich kenne Euch nicht. Bei mir selbst könnte ich Euch nicht aufnehmen, da meine Wohnung sehr klein ist. Aber ich habe einen Bekannten, der Euch wohl nicht fortweisen würde, falls Ihr ehrliche Leute seid. Er ist ein Deutscher, ein Schmied, aus Missouri hergezogen.“
„Nun“, entgegnete mein Freund, „mein Begleiter hier ist ein Deutscher, und auch mir ist die deutsche Sprache geläufig. Spitzbuben sind wir nicht; bezahlen wollen und können wir auch, und so kalkuliere ich, daß Euer Bekannter es einmal mit uns versuchen könnte. Wollt Ihr uns nicht seine Wohnung beschreiben?“
„Das ist nicht nötig. Ich würde Euch hinführen; aber ich habe noch auf dem Schiff zu tun. Master Lange, so heißt der Mann, ist jetzt nicht zu Hause. Um diese
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