02 - Winnetou II
das so entstandene Loch weiter, bis der Regen in die Presse fiel. Dann blieb es wohl über zehn Minuten lang still. Nach dieser Zeit aber wurde ein junger Baumstamm, an welchem sich noch die Aststummeln befanden, und stark genug war, einen Menschen zu tragen, herabgelassen. An demselben stiegen die Gefangenen auf das Dach des niedrigen Gebäudes und von demselben zur Erde herab. Dort sahen sie die vier Posten, welche wohl nicht bloß geschlafen haben werden, regungslos liegen und nahmen ihnen augenblicklich die Waffen. Der Retter brachte die Befreiten mit großer Schlauheit aus dem Bereich des Lagers und auf den nach der Grenze führenden Weg, den sie alle kannten. Erst hier erfuhren sie, daß es nach Old Death, der Pfadfinder sei, der sein Leben gewagt hatte, um ihnen das ihrige zu erhalten.“
„Ist er mit ihnen gegangen?“ fragte Old Death.
„Nein. Er sagte, er habe noch Wichtiges zu tun, und eilte fort, in die finstere, regnerische Nacht hinein, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu bedanken oder ihn sich anzusehen. Die Nacht war so dunkel, daß man das Gesicht eines Menschen nicht erkennen konnte. Will hat nichts bemerken können als nur die lange, hagere Gestalt. Aber gesprochen hat er mit ihm und weiß noch heute jedes Wort, welches der wackere Mann zu ihm sagte. Käme Old Death uns einmal in die Hände, so sollte er erfahren, daß wir Deutsche dankbare Menschen sind.“
„Das wird er wohl auch ohnedies wissen. Ich kalkuliere, daß Euer Sohn nicht der erste Deutsche ist, den dieser Mann getroffen hat. Aber, Sir, kennt Ihr vielleicht hier einen Master Lange aus Missouri?“
Der andere horchte auf.
„Lange?“ fragte er. „Warum fragt Ihr nach ihm?“
„Ich fürchte, daß wir hier im ‚Geier‘ keinen Platz mehr finden, und erkundigte mich bei dem Commissioner am Fluß nach einem Mann, der uns vielleicht ein Nachtlager geben werde. Er nannte uns Master Lange und riet uns, diesem zu sagen, daß der Commissioner uns zu ihm schicke. Dabei meinte er, daß wir den Gesuchten hier finden würden.“
Der ältere Mann richtete nochmals einen prüfenden Blick auf uns und sagte dann: „Da hat er sehr recht gehabt, Sir, denn ich selbst bin Master Lange. Da der Commissioner Euch sendet, und ich Euch für ehrliche Leute halte, so seid Ihr mir willkommen, und ich will hoffen, daß ich mich nicht etwa in Euch täusche. Wer ist denn da Euer Gefährte, der noch gar kein Wort gesprochen hat?“
„Ein Landsmann von Euch, ein Sachse, gar ein Studierter, der herübergekommen ist, um hier sein Glück zu machen.“
„O wehe! Die guten Leute da drüben denken, die gebratenen Tauben fliegen ihnen nur so in den Mund. Ich sage Euch, Sir, daß man hier hüben viel, viel härter arbeiten und bedeutend mehr Täuschungen erfahren muß, um es zu etwas zu bringen, als drüben. Doch nichts für ungut! Ich wünsche Euch Erfolg und heiße Euch willkommen.“
Er gab nun auch mir die Hand. Old Death drückte sie ihm noch einmal und sagte:
„Und wenn Ihr nun noch im Zweifel seid, ob wir Euer Vertrauen verdienen oder nicht, so will ich mich an Euren Sohn wenden, welcher mir bezeugen wird, daß ich kein Mißtrauen verdiene.“
„Mein Sohn, der Will?“ fragte Lange erstaunt.
„Ja, er und kein anderer. Ihr sagtet, daß er sich mit Old Death unterhalten habe und noch jedes Wort genau wisse. Wollt Ihr mir wohl mitteilen, junger Mann, was da gesprochen worden ist? Ich interessiere mich sehr lebhaft dafür.“
Jetzt antwortete Will, an den die Frage gerichtet war, in lebhaftem Ton:
„Als Old Death uns auf den Weg brachte, schritt er voran. Ich hatte einen Streifschuß in den Arm bekommen, welcher mich sehr schmerzte, denn ich war nicht verbunden worden und der Ärmel war an der Wunde festgeklebt. Wir gingen durch ein Gebüsch. Old Death ließ einen starken Ast hinter sich schnellen, welcher meine Wunde traf. Das tat so weh, daß ich einen Schmerzensruf ausstieß, und – – –“
„Und da nannte der Pfadfinder Euch einen Esel!“ fiel Old Death ein.
„Woher wißt Ihr das?“ fragte Will erstaunt.
Der Alte fuhr, ohne zu antworten fort:
„Darauf sagtet Ihr ihm, daß Ihr einen Schuß erhalten hättet, dessen Wunde entzündet sei, und er riet Euch, den Ärmel mit Wasser aufzuweichen und dann fleißig die Wunde mit dem Saft von Way-bread (Wegebreit, Wegerich) zu kühlen, wodurch der Brand verhütet werde.“
„Ja, so ist es! Wie könnt Ihr das wissen, Sir?“ rief der junge Lange überrascht.
„Das fragt Ihr noch? Weil
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